„Er ist ein guter und großer Künstler. Ich bin der Meinung, dass er gleichberechtigt neben den allergrößten Meistern steht. Ich habe Bilder von ihm von einer solchen Tiefe und einer seltenen Schönheit gesehen“, hat Camille Pissarro zum Tod von Alfred Sisley über seinen jüngeren Kollegen im Kreis der Impressionisten gesagt. An der Beerdigung am 29. Januar 1899 nahmen Claude Monet und Auguste Renoir teil – unter der künstlerischen Avantgarde jener Zeit bestand kein Zweifel an der Bedeutung von Alfred Sisley. Freilich, anfänglich waren die Impressionisten und mit ihnen Sisley keineswegs anerkannt. Nicht zuletzt aufgrund der vielen Absagen bei den offiziellen Salons in Paris hatten Cézanne, Monet, Berthe Morisot, Pissarro, Renoir und Sisley 1873 eine Ausstellungsgemeinschaft gegründet, die aber zunächst mehr Tadel als Lob erhielt. Ja, der heute anerkennende Stilbegriff „Impressionismus“ (der sich auf den Titel eines Gemäldes von Monet bezog) war eigentlich Schimpfwort der damaligen Kritiker. Aber während seine Kollegen zu Lebzeiten rehabilitiert und geehrt wurden, blieb Sisley weitgehend unbeachtet. Zwar wurde er von Galerien und Kunsthändlern vertreten, aber hohe Preise erzielten seine Gemälde nicht. Zumal nach dem Tod seines Vaters lebte er mit seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen, außerhalb von Paris in dem Dorf, wo auch Pissarro ansässig war.
Afred Sisley wurde 1839 als Sohn eines britischen Tuchhändlers in Paris geboren. 1857-60 hielt er sich als Lehrling im Geschäft eines Onkels in London auf. Dort interessierte er sich vor allem für die Museen und begeisterte sich für die Malerei von Constable und von Turner. Auch nach der Rückkehr nach Paris blieb Sisley der Kunst verbunden. Auf Empfehlung von Frédéric Bazille besuchte er 1860-62 die Atelierschule des Schweizer Malers Charles Gleyre und machte dort Bekanntschaft mit Renoir und Monet. Er bewarb sich in den folgenden Jahren für die Ausstellungen in den Pariser Salons, wo ab 1866 zwar einzelne seiner Bilder zugelassen, aber noch viel mehr abgelehnt wurden. Die Folge davon war die Gründung der Impressionisten – womit zugleich eine stilistische Verwandtschaft unter diesen Künstlern zum Ausdruck kam. Aber auch eine Freundschaft, die Künstler malten zusammen und reisten gemeinsam.
Die Atmosphäre in der Natur
Beeinflusst von den Malern der Schule von Barbizon, wenden sich die Impressionisten den Vorgängen in der Landschaft zu; vielfach entstehen ihre Bilder sogar draußen, vor Ort. Die augenblickliche Stimmung soll zum Ausdruck kommen. Naturphänomene wie das Licht und die Bewegtheit von Blattwerk und des Wasserspiegels werden malerisch eingefangen. Sisley malt häufig in der bewaldeten Gegend von Fontainbleau. Auch Gewässer sind ihm wichtig, so entstehen Bilder mit dem Blick auf die Seine und, während einer England-Reise, auf die Themse. Im malerischen Vortrag, zerlegt in knappe Flecken und Striche, wird die Natur sozusagen in Bewegung eingefangen, ganz ohne Konturen in kontrollierter Anlage. Sisley beachtet freilich die „Wahrhaftigkeit“ der Ansicht und die Richtigkeit der Perspektive, mit Verkürzungen und dem Sog in die Tiefe. Der Himmel, der sich in homogenem Blau aus hellem Licht und angedeuteter Bewölkung zeigt, ist meist tief gesetzt.
Alfred Sisley wendet sich bevorzugt stillen, gewöhnlichen Landschaften und Naturdarstellungen zu und wählt relativ enge Ausschnitte, die keine Ablenkung zulassen. Die Gegenden seiner Bilder sind nur wenig besiedelt, Menschen kommen lediglich beiläufig vor. Zivilisationskritik kommt in seinen Bildern also kaum auf, vielmehr führt er eine in der damaligen Zeit fortschrittliche Malkultur vor Augen und erreicht in seinen Gemälden eine Leichtigkeit und Blüte, die alles im Bild erfasst und mithin die Leinwand in Schwingungen versetzt. Der feine Pinselduktus simuliert ein glitzerndes Spiel des Lichtes, das sich über alles legt – damit ist Alfred Sisley durch und durch Impressionist. Freilich ist er auch derjenige unter diesen Künstlern der ersten Generation, der sein Werk am wenigsten weiter entwickelt hat.
Anlass und Bezug des ersten Werküberblicks zu Alfred Sisley in Deutschland sind, abgesehen vom Ereignis selbst, die Ausstellungsfolge des Von der Heydt-Museum zur Klassischen Moderne in Frankreich – mit der Schule von Barbizon, Renoir, Monet und Bonnard – und die eigene großartige Sammlung. Im Zentrum der Wuppertaler Ausstellung, die rund achtzig Bilder umfasst, wird gewiss auch das Gemälde „Le canal de Loing“ (1884) stehen, welches sich seit 1906 im Bestand des städtischen Museum befindet, als Geschenk von Julius Schmits, des Schwagers von August von der Heydt und Mitbegründers des Museumsvereins. Die Geschichte dieser Ausstellung liegt also auch in der Geschichte des Von der Heydt-Museum begründet.
„Alfred Sisley – der wahre Impressionist“ I 17.9. 2011-29.1. 2012 I Von der Heydt-Museum Wuppertal I 0202 563 62 31
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