Seit dem Urteil des Kölner Landgerichts tobt in der Öffentlichkeit die Diskussion um religiös motivierte Beschneidungen. Religionsvertreter, Juristen, Ärzte, Politiker und Bürger streiten um Kindeswohl und Religionsfreiheit. Die Argumente in ihrem Kontext erscheinen in sich schlüssig. Kompromisse sind trotzdem oder gerade deshalb kaum zu finden. Seltener als diverse Metaebenen wird aber das Teil des Körperteils, um den es tatsächlich geht, in den Fokus der Betrachtung gerückt. Warum ist Befürwortern und Gegnern des Beschneidungsritus gerade das Genitale so wichtig? Geht es bei Religion und auch bei Religionskritik gar letztlich um das weite Thema Sexualität?
„Als Gott den Mann schuf, übte sie nur.“ Wer diesen Slogan schon einmal mit lila Farbe auf die Außenwand eines Doms gesprüht hat oder zumindest diesen Slogan gelesen hat, weiß um die schwierige Geschichte zwischen Katholizismus und Frauenemanzipation. Gott, Abraham, Moses, David, Jesus, alles nur Kerle. Frauen sind, abgesehen von der unbefleckten Maria, in der Bibel nur folkloristisches Beiwerk. Auch die Sexualmoral, die der Klerus vertritt, erfreut Feministinnen selten. Eine Uta Ranke-Heinemann verbrachte viele Jahre damit, den Unterschied zwischen männlich dominierter Kirche und tatsächlicher froher Botschaft herauszuarbeiten.
Aber natürlich ist nicht nur das Christentum ein, gelinde gesagt, männlich dominiertes Terrain. Die anderen Weltreligionen sind da nicht viel besser aufgestellt. Über die vorgeblich frauenverachtenden Strukturen im Islam wird intensivst berichtet. Die anderen Glaubensrichtungen finden hierzulande nicht so viel Beachtung. Aber Göttinen gibt es auch in keiner anderen monotheistischen Weltreligion. Umso erstaunlicher ist der Umstand, dass Männern oder eben Jungs in der männerdominierten Welt des Islams und auch des Judentums an ihrem primären Geschlechtsorgan Leid angetan wird. Dieses scheinbar paradoxe Vorgehen – Männer verletzen Jungs – mag unterschiedliche und sogar sich widersprechende Ursachen haben.
Viele Quellen berichten davon, dass beschnittene Männer nicht so schnell zum Höhepunkt kommen, da die Eichel etwas unempfindlicher geworden ist. War die Beschneidung also eine altertümliche Form von Viagra? Können beschnittene Männer länger? Sind sie also omnipotent? Die Angst des europäischen Mannes vor dem wilden Mann anderer Kulturen mag hier Nahrung finden.
Eine andere direkte Folge der Beschneidung ist die angebliche Verhinderung von Masturbation. Aus diesem Grund propagierte der Arzt und Erfinder der Cornflakes John Harvey Kellogg diesen Eingriff, um ein enthaltsames Leben vor der Eheschließung zu gewähren und überhaupt ein ausschweifendes Sexualleben zu verhindern. Im Jahr 1888 schrieb er: „Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird.“ Kelloggs Lehre fand lange Jahre große Unterstützung im puritanisch geprägten Nordamerika. Noch heute sind deswegen über die Hälfte der Männer in den USA beschnitten.
Die Hose ist dem Manne doch oft näher als das Hemd
Aber nicht nur religiöse Eiferer müssen sich vorwerfen lassen, das Augenmerk zu sehr auf dieses Stückchen Haut zu legen. Auch die gerade erwachten Kritiker sollten sich fragen, warum sich deren Gemüter gerade bei der Beschneidung von Männern und Jungs erhitzen. Seit Jahren ist bekannt, dass Mädchen und Frauen auf bestialische Art beschnitten werden. Kaum jemand hat sich für diesen Skandal interessiert, obwohl nachweislich auch hierzulande Mädchenbeschneidungen praktiziert werden. Organisationen wie (I)NTACT in Saarbrücken oder TABU in Dortmund leisten hier Pionierarbeit. Ins Boulevard hat es jenes Thema aber nie geschafft. Chefredakteure verfügen hierzulande meist über einen Penis und sind deshalb bezüglich des Themas Knabenbeschneidung höchst sensibilisiert, zumindest höher sensibilisiert, als wenn dieses Schicksal ein Mädchen treffen würde. Dazu mag folgende Beobachtung eines Tierarztes passen. Soll ein Rüde kastriert werden, so entziehen sich die Hundehalter oft dieser Prozedur. Meist kommen die tierischen Patienten in Begleitung von Frauchen in die Praxis. Die Hose ist dem Manne doch oft näher als das Hemd.
Vielleicht könnte deshalb die Lösung des jetzigen Beschneidungskonfliktes auch darin liegen, die Position der Frauen und insbesondere der Mütter zu stärken. Wenn – wie es in der kontrovers diskutierten Verordnung des Berliner Justizsenators Thomas Heilmann (CDU) der Fall ist – beide Elternteile über die Folgen und Risiken aufgeklärt werden und beide dem Eingriff schriftlich zustimmen müssen, könnte sich die Zahl der Beschneidungen erheblich verringern. Mütter können sich traditionellen Werten und Zwängen vielleicht eher entziehen. Ein generelles Beschneidungsverbot hingegen würde viele Eltern nur in die Illegalität treiben. Wirkungsvoller als Repression ist allemal die Aufklärung. Als der Paragraph 218 liberalisiert wurde, sank die Zahl der Abtreibungen. Prozentual gesehen gab es die meisten Alkoholiker in den USA während der Prohibition in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber Aufklärung zu praktizieren ist schwieriger, als ein Gesetz zu erlassen.
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