Ohne konservativen Christen zu nahe treten zu wollen, kann man doch behaupten: die Bibel ist das Werk von Menschen, genauer: von Männern. Gelehrte brachten das Alte Testament auf Papyrus, Evangelisten schrieben die Geschichten um Jesus und seine Jünger nieder, und auch danach waren es Männer wie Paulus, die sich in Briefen über die richtige Art des Glaubens äußerten. Es ist bekannt, dass einige der Paulusbriefe von seinen Schülern verfasst wurden. Stammen einige Briefe vielleicht von weiblichen Ghostwritern? Fest steht: Die berühmteste deutsche Übersetzung der altgriechischen und lateinischen Originalfassung stammt von einem Mann: Martin Luther. Seiner Frau Katharina von Bora gestand er viel Freiraum in Entscheidungen zu, sie durfte sich bei den Tischgesprächen mit Gebildeten an den Diskussionen beteiligen. Hier war Luther seiner Zeit voraus. Trotzdem sah er das Wirkungsfeld einer Frau und eben auch seiner Frau an der Seite ihres Mannes. Während der Adel in der Politik und der Klerus in Kirchenangelegenheiten tätig war, hatte Luther genau wie seine Zeitgenossen allenfalls die Ökonomie als Einsatzort für Frauen vorgesehen, vor allem die eigene Hauswirtschaft ohne öffentlichen Einfluss.
Und doch ist Katharina von Bora im medialen Gedächtnis ähnlich verankert wie ihr Gatte. Katharina kümmerte sich, ganz eins mit Luthers Haltung zur Rolle der Frau, um Haus und Hof, Kinder und Gesinde, Studenten und weitere Hausgäste. Die eigene Hauswirtschaft war ihr Reich und das war nicht eben klein; Martin Luther erwarb, soweit es sein Einkommen zuließ, auf ihren Wunsch hin mehrfach Ländereien. So konnte sein „Herr Käthe“, wie Luther seine Frau liebevoll nannte, Gemüse, Obst und Getreide anbauen und Bier brauen, was aufgrund von sechs eigenen und mehreren Pflegekindern sowie zahlreichen Gästen und Angestellten sicherlich nötig war.
Katharina von Bora ist nicht die einzige Frau der Reformation, aber eben die berühmteste. Wie kommt es, dass Margarete von Navarra oder Olympia Fulvia Morata so unbekannt, ja fast vergessen sind? Margarete war adelige Unterstützerin der Reformation und Schriftstellerin, verfasste Gedichte und Novellen. Olympia war Humanistin und Gelehrte, unterrichtete sogar an der Universität von Heidelberg. Die Lyrik und die Geschichten von Margarete, sind heute in erster Linie für Literaturwissenschaftler interessant, für die breite Leserschaft bieten sie kaum Erkenntnisgewinn und sind schwer zugänglich. Olympia Fulvia Moratas Unbekanntheit hängt sicherlich mit ihrem frühen Tod im Alter von nur 29 Jahren zusammen, sodass sie keiner längeren Lehrtätigkeit nachgehen und keine bedeutenden Schriften verfassen konnte. Was sie zu Lebzeiten geschrieben hatte, fiel zum Großteil einem Feuer im Jahr 1554 zum Opfer. Ein weiterer Grund für die Unbekanntheit der Frauen wird auch die geringe Bedeutung ihrer Ehemänner sein; die waren eben nicht Martin Luther.
Wo sind denn die Frauen, die heute Kraft aus ihrem Glauben beziehen und durch ihr Leben als Christin ein Vorbild sind für andere? Oder braucht man einen einflussreichen Mann, um überhaupt wahrgenommen zu werden? Bei den Katholikinnen fallen als Gegenbeispiele direkt Jeanne d’Arc und Mutter Teresa ein, wie auch die anderen heiliggesprochenen Frauen, von denen es in der nachbiblischen Geschichte ja einigermaßen wimmelt. Durch die Heilig- und Seligsprechung hat die katholische Kirche eine interessante Karriereoption für unverheiratete Damen geschaffen, so scheint’s. Doch evangelische Glaubensanhängerinnen haben ebenfalls beeindruckende Lebensläufe, zum Beispiel Cynthia Maung, Ärztin aus Myanmar. Als Flüchtling und im Exil in Thailand lebend, gründete sie die Mae Tao Klinik, um Armen und Bedürftigen zu helfen. Sie wurde für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und hat dieses Jahr den Menschenrechtspreis des Baptistischen Weltbundes erhalten. Sabine Ball verstarb 2009, und ihr Werk ist dem Cynthia Maungs nicht unähnlich. Flucht aus Nachkriegsdeutschland, Heirat mit einem Milliardärssohn, Scheidung der Ehe und alternatives Leben mit Sinnsuche in Kalifornien und Indien, findet Sabine Ball schließlich zu Jesus und hilft nach der Wende ohne eigenes Vermögen Straßenkindern in Dresden, eine Perspektive im Leben zu finden. Das Bundesverdienstkreuz lehnte sie ab, weil die „Kinder und Jugendlichen der Neustadt diese Auszeichnung nicht verstanden hätten“ und ihre Arbeit unter der Auszeichnung gelitten hätte. Das ist echte Größe und Frieden in Gott.
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