Wuppertal – eine Stadt für Fahrradfahrer? Eher ist Holland ein Austragungsort für die Vierschanzentournee. Eher könnte man eine Regatta in der Sahara veranstalten oder Ananas in Alaska züchten. Oder doch nicht? Zwar sind die Straßen der Stadt in einem erbärmlichen, realsozialistisch anmutenden Zustand, sind die Höhenunterschiede einer Bergetappe der Tour de France würdig und Radwege generell ein sehr seltenes Gut, aber vielleicht ist bald alles ganz anders. Seit Jahren planen engagierte Bürger der Wuppertal-Bewegung die alte Nordbahntrasse, auf der seit fast 12 Jahren keine Züge mehr verkehren, zu einem kombinierten Wander-, Rad- und Freizeitweg umzugestalten. Fast ohne Steigungen könne so ein autofreier Weg nördlich der Talachse von Nordost nach Südwest führen. Der Verlauf der Strecke ist spektakulär. Der kreuzungsfreie Weg führt durch kilometerlange Tunnel und, hoch über den Dächern der Stadt, über Brücken und historische Viadukte. Wuppertal, durch die Schwebebahn schon mit einem weltweit einzigartigen und ökologisch wertvollen Verkehrsweg gesegnet, bekäme ein neues Wahrzeichen. Das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands könnte zum El Dorado für Radtouristen werden.
Jeder Kieselstein sollte europaweit ausgeschrieben werden
Bereits jetzt ist ein Teilstück zwischen Ostersbaum und dem Bahnhof Loh fertig gestellt. Vier Meter breit ist die Asphaltdecke, die für Radfahrer und Inline-Skater vorbehalten ist, zwei Meter breit der Fußweg. Doch bereits diese 1,5 von insgesamt 20 Kilometern Wegstrecke gestalteten sich als eine schwere Geburt. Bereits im Vorfeld aber gab es während der Baumaßnahme große Probleme zwischen den Beteiligten. Die Mitglieder der Wuppertal-Bewegung gingen an ihr Vorhaben mit gesundem Menschenverstand heran. Der Weg, finanziert durch Spenden, würde doch alle Menschen erfreuen. Naturschützer allerdings protestierten nach Bekanntwerden der Pläne. Ein reger Radverkehr in den Tunnel würde die Rückzugsquartiere vieler, auch seltener Fledermausarten unbewohnbar machen. Auch nach einer Vereinbarung zwischen den Kontrahenten, die eine zeitliche und räumliche Einschränkung der Tunnel beinhaltete, kehrte kein völliger Frieden zwischen Naturschützern und Radwegbauern ein. Noch schwieriger gestaltete sich das Verhältnis zwischen Wuppertal-Bewegung und Stadtverwaltung. Jeder Kieselstein, der zum Bau verwendet wurde, sollte europaweit ausgeschrieben werden. Dieser Eindruck beschlich zumindest den Beobachter des Dramas zwischen Stadt und Stadtbewohner. Sehr viel Geld und auch Zeit wurde in den Sand gesetzt. Kostenexplosionen und jahrelange Verzögerungen gehören zwar oft zu öffentlichen Bauvorhaben. Die engagierten Bürger der Initiative allerdings wähnten sich im sagenhaften Schilda. Das Verhältnis zwischen Verein und Verwaltung gestaltete sich zu einem persönlichen Ränkespiel. Dabei drohte das wertvolle Projekt zwischen den Interessen zermahlen zu werden.
Inzwischen hat die Stadt die Bauleitung an sich gezogen. Die Wuppertal-Bewegung ist nun gespannt, ob der anvisierte Zeitplan eingehalten wird. Bis Ende übernächsten Jahres soll die Strecke quer durch das Wuppertal fertig gestellt werden. Ob der innerstädtische Weg Teil eines landesweiten Radwegenetzes wird, ist noch nicht gänzlich geklärt. Besonders die nördliche Anbindung nach Sprockhövel durch den über 700 Meter langen Scheetunnel ist umstritten. Nicht nur Fledermäuse und deren menschliche Interessenvertreter beanspruchen die Röhren durch den Berg. Auch Historiker sind an dem Tunnel interessiert, birgt er doch historisch bedeutsame Relikte. Im letzten Kriegsjahr wurden hier von Zwangsarbeitern Teile für das erste militärische Düsenflugzeug Messerschmidt ME 262 gefertigt. Die Wuppertaler Hobbyhistorikerin Daniela Althaus wünscht sich, dass die noch vorhandenen Reste dieser Rüstungsproduktion als Museum der Nachwelt erhalten bleiben. Pläne, den Scheetunnel zu einem bloßen unterirdischen Weg umzubauen und so die Zeugnisse der braunen Vergangenheit zu entfernen, lehnt sie ab: „Da könnten wir doch gleich einen Radweg über ein ehemaliges Konzentrationslager bauen.“ Eine Gedenktafel wäre ihrer Meinung nach das Mindeste, was zu leisten wäre. Gern würde sie allerdings auch im Tunnel einen historischen Lehrpfad gestalten, um interessierten Gruppen und Schulklassen das Thema Zwangsarbeit in Wuppertal näher zu bringen.
Eine Moderation zwischen den verschiedenen Interessen scheint dringend geboten
So streiten verschiedene Gruppen um die Zukunft der Nordbahntrasse. Eine Moderation zwischen den verschiedenen Interessen, wie dies inzwischen bei anderen Projekten üblich wird, scheint dringend geboten. Nur - wer kann diese Aufgabe übernehmen? Die Verwaltung scheint nicht gerade als ideale Besetzung dieses Postens, gelten manche Teile des Rathauses nicht gerade als engagierte Förderer des Trassenausbaus. Manche Wuppertaler murren bereits wegen der nicht enden wollenden, nun schon über sechs Jahre währenden Geschichte. Kaum scheint ein Problem ausgeräumt, findet sich das nächste. Noch ist das Verhältnis zwischen Verwaltern und Verwalteten nicht so zerrüttet wie im vergangenen Jahr in der schwäbischen Landeshauptstadt. Dort half übrigens nur eine Wahl, um Bewegung in die Sache zu bekommen.
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