Wer hat die Deutungshoheit über die Geschichte? Eine Frage, der sich gestern zwei Filmpremieren angenähert haben. Starschauspielerin Angelina Jolie präsentierte in ihrem extrem brutalen Regiedebüt „In the Land of Blood and Honey“ ihre Sicht auf den Bosnien-Krieg, Christian Petzold stellte mit „Barbara“ ein weniger lautes Drama vor, das eine Liebesgeschichte in der DDR erzählt. Beide waren sie nicht dort, in den Zeiten von Staatsterror und alltäglicher Gewalt. Petzolds Eltern sind allerdings damals in den Westen geflohen, bei Jolie ist ihr humanitäres Engagement der Bezug. Beide bekamen die kritische Frage gestellt, ob man die Vergangenheit denn so darstellen dürfe, ob das Zeitportrait realistisch wäre oder eben nicht. Vor allen Dingen, wenn man diese Zeit selbst nicht erlebt hat. Angelina Jolie schien solche Kritik erwartet zu haben, denn sie reagierte kontrolliert und fertigte die Fragen in wenigen Sätzen ab. „Es ist Kunst und jeder bringt seine eigenen Geschichten in meine Erzählung mit. Was jeder einzelne darin sieht, bleibt ihm überlassen.“
Christian Petzold reagierte auf die Vorwürfe präziser. Er wollte kein Re-enactment einer vergangenen Zeit inszenieren, darum ginge es ihm nicht. „Die Geschichte soll atmen“, bemerkte er. Ihm geht es darum, die Relationen der Figuren herauszuarbeiten, die genaue Verortung der Geschichte ist zweitrangig. Durch diese vielen Auslassungen und Leerstellen schafft es Petzold in gelungener Form eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen, die natürlich selbst immer Erzählung ist. Dies wurde besonders deutlich als die serbische Presse einige Fragen an Angelina Jolie richtete, beispielsweise, warum keine bosnischen Täter gezeigt würden. Hier zeigte sich ein ganz anderes Bild vergangener Ereignisse. Natürlich ist dieser Film ihre Erzählung, denn sie schrieb ja auch das Drehbuch. Doch bei Jolie steht, im Gegensatz zu Petzold, das Politische und die Verortung im Vordergrund. Aus ihr ergeben sich erst die schwierigen Beziehungen der Figuren und gleichzeitig ein gewisser Anspruch, Geschichte objektiv erzählen zu können. Dies hinterlässt bei Angelina Jolies Regiedebüt noch viele weitere offene Fragen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
Herbstzeit – Kinozeit
European Arthouse Cinema Day – Festival 11/22
Feministische Gegennarrative
Das Internationale Frauen* Film Fest kehrt zurück ins Kino – Festival 03/22
Beim Filmemachen zugucken
Das 2. Japanese Film Festival – Festival 02/22
Vom Kleinen zum ganz Großen
„Stranger than Fiction“ traut sich was – Festival 02/22
Arthaus-Werbung mit Mehrwert
Der 6. European Arthouse-Cinema Day – Festival 11/21
Vom Kolonialismus zum Postkolonialismus
18. Afrika Film Festival blickt auf Historie und Gegenwart – Festival 09/21
Vor dem Ton
Die Internationalen Stummfilmtage in Bonn – Festival 08/21
Kannste dir nicht ausdenken …
Neue Nachrichten aus einer verrückten Welt – Festival 02/20
Aus weiblicher Perspektive
Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln – Festival 04/19
Große Stars und kleine Leute
Außergewöhnliche Biografien bei „Stranger than Fiction“ – Festival 01/18
Mehr Mut
Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17
„Eine wahnsinnige Kinolandschaft“
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/17
Im Zeichen von Toni Erdmann
NRW-Empfang 2017 im Rahmen der Berlinale – Festival 02/17
Auf ein Neues: Lünen wieder Filmstadt
27. Kinofest Lünen vom 10.-13.11.2016
Auf Abwegen
Berlinale jenseits des Wettbewerbs – Festival 02/16
Jubiläums-Empfang
NRW-Empfang 2016 im Rahmen der Berlinale – Festival 02/16
Ehrenpreis für eine WDR-Legende
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/16
Kino-Hochburgen
Die regionale Filmszene präsentiert sich auf dem NRW-Kinotag – Festival 11/15
Schwer zu bergende Filmkunstperlen – Kinos bitte melden!
26. Kinofest Lünen vom 12. bis 15. November – Festival 11/15
Bewegter Einstieg
Nachwuchswettbewerb „kurzundschön“ hilft beim Start in die Berufswelt – Festival 10/15
Überraschend modern
Die Internationalen Stummfilmtage Bonn pflegen das frühe Filmerbe – Festival 08/15
Geld regiert die Welt
Das Kölner Filmforum NRW verfolgt den Kreislauf des Geldes – Festival 08/15
Tonangeber
SoundTrack_Cologne kooperiert mit der c/o pop – Festival 08/15