engels: Frau Litvinenko, wie informieren Sie sich über das Weltgeschehen?
Anna Litvinenko: Ich denke als Kommunikationswissenschaftlerin bin ich da kein wirklich typischer Fall. Ich bin natürlich beruflich schon daran gewöhnt, mich umfassend zu informieren und die Nachrichten auch zu analysieren. Ich lese die verschiedenen Qualitätsmedien, auch ausländische Zeitungen und folge auch diversen Journalist:innen über die sozialen Medien. Gerade heutzutage ist es wichtig, sich aus unterschiedlichen vertrauenswürdigen Quellen zu informieren, unter anderem auch bei Korespondent:innen, die wirklich vor Ort sind. Das nimmt natürlich sehr viel Zeit in Anspruch und daher ist es wichtig, für sich eine Liste von guten Quellen zu entwickeln, um eine Überflutung auch zu vermeiden.
Die Beschäftigung mit Nachrichten gehört für Sie zu Alltag und Arbeit. Schalten Sie auch mal ab?
Ja, natürlich! Ich habe schon auch Zeiten ganz ohne Medien und das ist mir auch sehr wichtig. Auch das gehört zur Informationshygiene dazu, denn die Informationen müssen ja auch verarbeitet werden. Durch die ständige Flut an Nachrichten, denen wir heutzutage ausgesetzt sind, entsteht die Illusion,dass wir gut informiert wären. In Wirklichkeit braucht es aber für die Verarbeitung der Informationen eine Pause und wirkliche Stille. Das ist etwas, das wir inzwischen verlernt haben. Eine der einfachsten und zugleich schwersten Übungen in meinen Seminaren zur Medienkompetenz ist beispielsweise das Abschalten aller Medien für mehrere Stunden. Und das sollte eigentlich ganz einfach sein.
„Für die Verarbeitung der Informationen braucht es eine Pause und wirkliche Stille“
Sorgt die Dauerberieselung auch für eine Abstumpfung?
Dieser Effekt ist leider schon sehr lange da und wurde in bereits im 20. Jahrhundert in Studien nachgewiesen. Damalige Studien bezogen sich vor allem auf die Darstellung von Gewalt im Fernsehen, wobei nicht nur eine Abstumpfung zu beobachten war, sondern auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit vom aggressiven Verhalten von Menschen, die dem Einfluss von solchen Inhalten ausgesetzt waren. Die Qualitätsmedien haben hier ethische Richtlinien, denen sie folgen, wenn es um die Frage geht, was man im Krieg zeigt oder wie man auch Gewalt darstellt. Heutzutage ist die Situation allerdings die, dass wir Nachrichten ja längst nicht mehr nur durch Journalist:innen vermittelt bekommen, so dass natürlich auch die ethischen Richtlinien nicht mehr eingehalten werden. Wir müssen uns also viel mehr als früher selber vor einer möglichen Abstumpfung schützen, was gegebenenfalls auch für kognitiven Stress sorgt.
„Journalist:innen sind heutzutage nur noch Gatewatcher“
Wie hat sich der Journalismus durch die Digitalisierung verändert?
Der Journalismus hat sich durch die Digitalisierung dramatisch verändert. Qualitätsjournalismus braucht an sich viel Zeit und Geld. Doch durch die Digitalisierung hat sich auch das Businessmodell von Journalismus sowie der Journalismus selbst verändert. Die althergebrachten Formate mussten sich ändern und gehen inzwischen mehr Richtung Infotainment. Früher bezeichnete man Journalist:innen als Gatekeeper, weil sie Nachrichten für uns filterten. Inzwischen hat sich das gewandelt und sie sind „Gatewatcher“, können also die tägliche Nachrichtenflut nur noch beobachten und nur teilweise mitgestalten. Sehr viel hängt auch an verringerten Einkommensmöglichkeiten für Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt. Beispielsweise können sich ganz wenige Medienhäuser noch Auslandskorrespondenten leisten, die sehr viel Geld kosten. Und dabei ist es gerade wichtig, Informationen vor Ort und aus erster Hand zu erhalten. Was sich aber durch die Digitalisierung durchaus auch zum Positiven gewendet hat ist, dass es zunehmend die Möglichkeit zur Interaktion gibt.
Wie sieht in Ihren Augen verantwortungsvoller Journalismus aus?
Es gibt gewissen Standards für Qualitätsjournalismus. Dazu gehören sorgfältige Recherche und eine Ausgewogenheit in der Berichterstattung. Wichtig ist auch, dass Journalismus zur Medienkompetenz beiträgt und das kritische Denken fördert also an den Verstand appelliert und keine vorgegebene Meinung vermittelt.
„Medienkompetenz und Informationshygiene müssen schon im Kindergarten ansetzen“
Was kann man für eine Medienerziehung tun – auch bei sich selbst?
Medienkompetenz und Informationshygiene müssen eigentlich schon im Kindergarten ansetzen. Auch hier gibt es schon interessante Übungen, die man machen kann. Auch bei den Erwachsenen muss man hier durch die ständigen Neuerungen von einem lebenslangen Lernen ausgehen. Führend ist da die Unesco, die sich als erste mit Medienbildung beschäftigt hat. Man sollte heutzutage nicht mehr davon ausgehen, dass die Medienlandschaft sich von sich aus regeln wird, sondern wir müssen wirklich Medienkompetenz als eine Kernkompetenz entwickeln. Hierfür müssen wir ein kritisches Denken entwickeln sowie immer wieder neu auch eine Selbstreflexion. Zum Erkennen seriöser Nachrichten: Man muss sich immer wieder fragen, wer hinter einer Nachricht steckt. Gerade hinsichtlich der sozialen Netzwerke sollte man sich nie nur auf Informationen aus nur einer Quelle verlassen. Das kann man vielleicht als goldene Regel ansehen: Wenn man Informationen teilt, sollte man sie in mindestens zwei vertrauenswürdigen Quellen überprüfen. Gerade Falschmeldungen schüren häufig Ängste oder zielen anderweitig auf unsere Gefühle ab. Das sollte ein Warnsignal sein, um eine Meldung zu überprüfen. Wir müssen eigenständig daran arbeiten, ein kritisches Denken zu entwickeln. Als Übungen hierfür kann man beispielsweise das eben schon erwähnte Abschalten nennen oder aber auch die Analyse von Nachrichten im Hinblick auf Falschmeldungen oder Wahrheiten. Dafür kann man zum Beispiel Faktenchecker-Seiten nutzen wie Correctiv. Faktencheck.
Sind die kritischen Medien an den neuen Herausforderungen möglicherweise gescheitert?
Das ist eine eher pessimistische Frage, die ich nicht so pauschalisieren würde. Studien zur inhaltlichen Analyse zeigen, dass der Qualitätsjournalismus auf keinen Fall gescheitert ist. Die Frage ist vielmehr, ob wir diese Medien noch konsumieren. Insofern würde ich nicht von einem Scheitern sprechen, aber die Qualitätsmedien müssen wieder mehr den Weg zum Publikum finden und eine stärkere Stimme in der Gesellschaft haben. Der Ukrainekrieg zeigt gerade wieder ganz dramatisch, wie wichtig Qualitätsjournalismus ist – Kriegsberichterstatter haben einen unheimlich schwierigen Beruf, der eine spezielle Ausbildung, ein gutes Kontext-Wissen und auch viel Erfahrung braucht. Besonders in Krisenzeiten wie der heutigen zeigt sich wieder, wie wichtig der professionelle Umgang mit Informationen ist.
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