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Tausend Zeilen

Tausend Zeilen
Deutschland 2022, Laufzeit: 93 Min., FSK 12
Regie: Michael Bully Herbig
Darsteller: Elyas M'Barek, Jonas Nay, Michael Ostrowski
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Knackige Komödie über den „Spiegel“-Skandal um Claas Relotius

Die Wahrheit. Sonst nichts.
„Tausend Zeilen“
von Michael Herbig

Hamburg 2018: Nach sieben Jahren freiberuflicher Arbeit und einem Jahr als angestellter Redakteur beim „Spiegel“, fliegt der vielfach mit Medienpreisen ausgezeichnete Journalist Claas Relotius auf. Sein Kollege Juan Moreno kann nachweisen, dass seine letzte Reportage in vielen Teilen gefakt war. In der Folge kommt ans Licht, dass dies für Dutzende Beiträge aus der Feder des Relotius gilt. Morenos Enthüllungen wurde lange Zeit von Chefredakteur und Ressortleiter weggewunken. Zu viel Renommee stand auf dem Spiel, zu sehr profitierte das Magazin von seinem Jackpot. Juan Moreno schreibt nach dem tiefen Fall des Hochstaplers ein Buch dazu. Dieser Film beruht darauf. Und Michael Herbig („Der Schuh des Manitu“, „Ballon“) führte Regie.

Moreno heißt hier Juan Romero, Relotius wird zu Lars Bogenius, aus dem „Spiegel“ die „Chronik“. Publikumsliebling Elyas M’Barek spielt Romero, den ehernen Journalisten und Bilderbuchvater von vier Töchtern, ein Mann mit Herz und Anstand. Jonas Nay („Deutschland 83“) mimt den schlacksigen, nie greifbaren Lügenbaron. Ein gemeinsames Projekt bringt die beiden Autoren an die US-mexikanische Grenze. Während Romero auf Authentizität setzt, bettet Bogenius seine Reportagen in ausgeklügelter Dramaturgie und emotionaler Wahrheit, sprich: Fake. Während der vermeintlich unangreifbare Ressort-Held Romero dazu ermutigt, greifbarer zu schreiben, traut dieser dem Braten nicht und beginnt, Fakten zu checken. Gemeinsam mit seinem Fotografen (Michael Ostrowski) sammelt er Hinweis und Beweis – doch es ist ein langer Weg, bis er zu den Verantwortlichen in der Redaktion (Michael Maertens, Jörg Hartmann), die sich mit Bogenius eitel schmücken, durchdringen kann. Romero entgeht derweil, dass er über seinen detektivischen Eifer zusehends seine Familie vernachlässigt. Und Kurt Krömer hat einen Kurzauftritt als Fahrscheinkontrolleur.

Gleich zu Beginn des Films verweist eine Texttafel, dass das nun Folgende – „Wirklich wahr!“ – zum Teil passiert, zum Teil ausgedacht ist. Das trifft nicht bloß auf so ziemlich jeden Spielfilm zu. Es gibt auch direkt die schelmische Gangart dieser Komödie vor. Die Affäre selbst birgt große Tragik, immense Sprengkraft und gewaltiges Potenzial zum Diskurs. Diskurs zur Tragweite, zur Medienberichterstattung in Fake News-Zeiten. Dazu, was Journalismus kann und was er darf. Dazu, wie dieser Relotius tickt. Herbig indes bleibt an der Oberfläche und begegnet der Schwere des Potenzials mit beschwingter, knackiger Leichtigkeit. Moreno geriert dabei zu einer Figur aus einem Til Schweiger-Film, Relotius bleibt weitestgehend profillos, die Chefredaktion besteht aus Witzfiguren. Munter spielt Herbig mit Off- und On-Kommentaren, er setzt satte Farbfilter, friert Bilder ein und gestaltet eine Taxifahrt auch mal reichlich überambitioniert zur Actioneinlage. Die Montage: schnell und schnittig. Und, hihi, Kurt Krömer. Insgesamt: frech, aber harmlos.

Der Vergleich zu Helmut Dietls „Schtonk!!“ liegt auf der Hand. Die Hitler-Tagebücher stammten zwar nicht aus hauseigener Quelle des „Stern“, doch die Parallelen dieser „Spiegel“-Affäre zu jenem ersten großen Fake-Skandal sind deutlich: hier der durchtriebene, gewitzte, kreative Täuscher, dort die Redaktion, die sich um des Erfolgs Willen blenden lässt. Nur: Zwischen den beiden Skandalen liegen 35 Jahre. Jahre, in denen, nicht zuletzt wegen der Hitler-Tagebücher, interne Kontrollmechanismen etabliert wurden. Zumindest in den seriösen Häusern – bei anderen ist das Fehlen von Kontrollinstanzen bekanntlich einträgliches Konzept.

Uns aber interessiert der Film, und während Dietl ein Bravourstück lieferte, das bis heute eine Wonne bleibt, setzt Herbig auf coole Audiovisualisierung, Reiz-Overkill und Schweiger-Ummantelung mit finaler Rundum-Versöhne. Dietl setzt auf Figuren, Herbig auf Hülle. Dort deftige Satire, hier glatte Parodie. Dort smart und scharf, hier laut und schnell. Herbig hat sich für ein Konzept entschieden. Das erfüllt er, und deshalb scheitert er nicht. Dass der einstige Comedian eher auf Klamauk und Tempo setzt als auf Drama und Diskurs, dürfte der Verfilmung eine größere Zielgruppe erschließen. Und das ist gut für das Thema. Für diesen Medienskandal, der allein schon genug Sprengkraft hat für einen Leinwandauftritt.

(Hartmut Ernst)

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