Das war schon nicht so stressfrei damals. Krankenakten belegen es. Jede Woche dienstags, später donnerstags, saß der kleine Florian nachmittags mit seiner Mutter beim Kinderarzt und hat auf seine Spritzen gewartet. Wochenlang. Monate. Schließlich sollten es Jahre werden. Es war keine schlimme Krankheit, Gott bewahre. Es gab und gibt Kinder, die wesentlich schlimmer dran waren als das, was ich „durchmachen“ musste. Und trotzdem schränken Allergien die Lebensqualität stark ein. Gerade wenn man außerhalb der Stadtzentren aufgewachsen ist und seine Freizeit häufig in Feldern und Wäldern verbracht hat.
Häufig wurde dann, wie gesagt, auch der Besuch beim Arzt. Nach dem Allergietest leuchtet der Arm auch heute noch so knallig, dass Rotlichtpatienten sich gleich davor setzen könnten. Desensibilisierung, Eigenblutbehandlung und eine Bioresonanztherapie wurden ausprobiert. Und tatsächlich, irgendwann in jugendlichem Alter verschwand langsam aber sicher das lästige Augenjucken. Der triefende Schnupfen. Gleichwohl nicht für immer: Auch heute ist er an manchen pollenintensiven Tagen Begleiter beim Grillen im Garten oder beim Spaziergang im Wald. Von Hausstaub mal nicht zu sprechen.
Wie wichtig die Gesundheit im Kindesalter ist, beschreibt Heike Hölling vom Robert Koch-Institut: „In jungen Jahren werden Weichen für die spätere Gesundheit – und damit auch die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten – gestellt.“ Heike Hölling war Projektleiterin von KiGGS, einer Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Von 2009 bis 2012 haben insgesamt 12.000 Kinder und Jugendliche sowie 4.000 junge Erwachsene an der KiGGS-Studie teilgenommen. Eine erste Erhebung hatte es bereits zwischen 2003 und 2006 gegeben. Dadurch lassen sich Verläufe erkennen. Die gute Nachricht: Rund 94 Prozent der Kinder schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand als „sehr gut“ oder „gut“ ein.
Bei den Allergien muss man den positiven Eindruck einschränken. Allergische Erkrankungen sind die häufigsten Gesundheitsprobleme von Kindern und Jugendlichen. 9 Prozent der KiGGS-Kinder haben Heuschnupfen, 6 Prozent Neurodermitis und 4 Prozent Asthma. Zusammengefasst sind mit 16 Prozent fast ein Sechstel der Kinder von mindestens einer allergischen Krankheit betroffen – Jungen (17 Prozent) mehr als Mädchen (14 Prozent).
Damals als Patient saß ich schon in einem relativ vollen Wartezimmer. Man sah Sitzreihen voller geschwächter Immunsysteme. Gefühlt müssen immer mehr Kinder einen Allergologen aufsuchen – großes Thema auch bei Erwachsenen sind zuletzt Intoleranzen gegen Laktose oder Gluten. Laut der von einem Pharmazie-Unternehmen gelenkten Webseite gesundheit.de ist jedes vierte Kind von Allergien betroffen. „In den letzten Jahrzehnten haben sich allergische Erkrankungen bei Kindern zu den häufigsten Gesundheitsproblemen entwickelt“, heißt es dort.
Gründe dafür sind schwer festzustellen und nicht völlig klar. Vererbung kann ein Faktor sein. Wenn ein Elternteil bereits an einer sogenannten atopischen Krankheit leidet, ist das Risiko der Weitergabe an das Kind größer. Wichtiger sind aber wohl die Lebensumstände der Menschen. Der Fortschritt ist gleichzeitig ein Rückschritt: „Vor allem die Fülle von neuartigen chemischen Produkten, die in den letzten Jahrzehnten auf den Markt gekommen sind, hat bewirkt, dass bei den Bewohnern westlicher Industrieländer Allergie-Erkrankungen immer häufiger vorkommen“, schrieb der Spiegel schon in einer Juni-Ausgabe von 1970.
Allein in den 80er Jahren, so das Robert-Koch-Institut, sei die Zahl der Asthmatiker auf das Doppelte gestiegen. „Heute weisen viele westliche Industriestaaten, aber etwa auch manche Länder Lateinamerikas einen hohen Anteil von Allergikern auf“, heißt es in der KiGGS-Studie. Auch die Umweltbelastung ist gestiegen. „Verschiedenen Hypothesen zufolge könnten beispielsweise eine erhöhte Pollenbelastung, vermehrte Umweltchemikalien, gewandelte Ernährungsgewohnheiten oder modifizierte Erkrankungsmuster bei Infektionen von Bedeutung sein“, sagen die Experten.
Und was haben die Kinder, die keine Allergien haben, richtig gemacht? Ein Zusammenhang könnte laut Robert-Koch-Institut tatsächlich darin bestehen, dass Kinder verstärkten Kontakt zu möglicherweise harmlosen Mikroorganismen haben. Das heißt, ihr Immunsystem wird abgehärtet und sie stören sich möglicherweise später nicht mehr an allergenen Stoffen. Auch wenn Eltern, die besonders auf Hygiene und Sauberkeit achten, das vermutlich ungern hören.
Positiv ist in jedem Fall, dass sich der Trend laut der KiGGS-Studie abschwächt – zumindest was die Jugendlichen angeht. Dort sind die Zahlen stabil. Für weniger volle Wartezimmer beim Allergologen und Kinderarzt.
Aktiv im Thema
www.kiggs-studie.de | Seite der Studie für Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
www.dgaki.de | Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie
www.daab.de | Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V.
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