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Shell-Betreiber Rolf Kistenich
Foto: Jan Schliecker

„Die Tische flogen durch die Luft“

25. Mai 2019

Rolf Kistenich über 40 Jahre Blue Shell – Interview 06/19 (mit Video)

engels: Rolf, das Blue Shell wurde 1979 gegründet, du selbst bist 1980 das erste Mal als Musikfan eingetreten.
Rolf Kistenich:
Wichtig war, dass man hierhin kam, weil man hier Musik gehört hat, die sonst nirgendwo lief. Hier war die Hölle los. Die Flipper standen damals noch in den Rundungen, und die Bauhaus-Tische, die wir auch heute noch haben, die flogen durch die Luft. Aber irgendwie war das so, als wenn das dazugehört. Einer duckte sich und dann wurde der Tisch wieder hingestellt und dann war das so. Ich hatte noch lange Haare und damals waren die Hippies verpönt. Die Punkbands haben Bands wie Led Zeppelin, Rolling Stones erstmal ordentlich in den Hintern getreten, weil es da richtig abging – praktisch wie in den 60ern, wie die Rolling Stones ja selber waren. Hippie war nicht angesagt, und da dachte ich, die schneiden mir hier die Haare ab, dann gehst du lieber mal, aber die Musik war die beste. Da lief „New Rose“ von Damned. Eine richtig aggressive Stimmung, aber trotzdem fühlte man sich wohl. Das war auch der Stimmung wahrscheinlich angemessen, die in den Zeiten war. Diese Revolte, die war schon toll.

Was waren denn in Köln die Clubs, die wichtig waren?
Der wichtigste war immer Blue Shell. Von der Musik her gab’s überhaupt keine Läden außer dem Blue Shell, wo eine Kneipe war, wo ein DJ war, das gab’s ja sonst nur in Diskos. Bevor ich hier war, hab ich im Rose Club aufgelegt, aber das Ordnungsamt hat dann zugemacht, und dann bin ich von da aus direkt ins Blue Shell, weil wir da die gleiche Musik gemacht haben.

Das Shell war mit Luxor und Rose Club Teil des Bermuda-Dreickecks, ist das heute noch intakt?
Nicht mehr so intakt, der Rose Club ist ja jetzt der Veedel Club, aber wir sind hier schon eine gute Gemeinschaft. Wenn jemandem der Vodka oder das Eis ausgeht – wir sind überhaupt nicht im Konkurrenzdenken. Wir gehören schon zusammen, das wissen wir auch alle. Das Viertel ist deswegen attraktiv, weil die ganzen Läden da sind.

Eine Besonderheit ist ja auch die niedrige Bühne.
Da gibt’s aber noch niedrigere. Die Mekons haben noch auf dem Boden gespielt, dann wurde aber eine Bühne aufgebaut, in meiner Zeit eigentlich immer, die aber auch nicht riesig ist, wir müssen ja sehen wie wir klarkommen mit der Decke.


Das Blue Shell im Jahr 1980, Foto: © Blue Shell

Ihr habt euch von der Musikkneipe ganz zum Live-Club umgestellt.
Wir haben angefangen sonntags und montags, an den obligatorischen nicht so tollen Tagen Live-Musik zu machen. Wir durften aber nie, weil das Blue Shell ja der „schlimmste Laden“ ist wegen den Schlägereien von früher – da musst du erstmal eine Konzession für bekommen. Wir haben das probiert und ein bisschen Live-Musik gemacht – das war immer so anstrengend: nicht so laut…! Das war schon eine komische Stimmung, bis man das mal durchgekriegt hat. Dann haben wir dadurch, dass wir immer mehr Live-Musik gemacht haben, die Kneipe „abgebaut“. Denn jeder, der in die Kneipe will, der Billard spielen will so wie immer, der guckt nicht, welcher Tag es ist, der kommt hier hin und: „Wie, Eintritt?“ Und wenn man das zwei, dreimal erlebt hat, dann geht man da gar nicht mehr hin. Das heißt, nachher war man schon fast gezwungen mehr Live-Musik zu machen, weil die Kneipe nicht mehr lief. Und so gab’s dann einen Umschwung, der eigentlich erst letztes Jahr richtig vollzogen wurde. Als wir das erste Mal Eintritt genommen hatten und eine Garderobe hatten, haben die Leute gelacht.


Das vollständige Interview mit Jubiläums-Playlist

Wer spielt hier heutzutage?
Wir haben eine gute Anlage installiert und uns vor allem immer wieder um den Schallschutz gekümmert. Dann haben wir natürlich angefangen, erstmal die lokalen Bands spielen zu lassen. Aber nachher, wenn man dann den Soundmann bezahlen muss und die GEMA, dann muss man den Bands auch schon sagen, wenn nur 20 Leute kommen, dann ist das eine Privatparty von euch, aber ich kann das so nicht machen. Nach und nach haben die großen Agenturen, weil wir eine gute Anlage haben, ihre kleineren Bands hier eingebucht. Dann bezahlen die halt die Kosten und ich partizipiere vom Umsatz. Die gleichen professionellen Bedingungen kann aber auch jede Nachwuchsband nutzen, um sich optimal zu präsentieren.

Ihr habt ja keine überbordenden Getränkepreise, aber steht ihr nicht auch mit Kiosken in Konkurrenz?
Für die Clubs ist die Situation mit den Kiosken schlicht und einfach eine Katastrophe. Wenn du nicht nur eine Kneipe hast, sondern einen Club mit Live-Musik, das ist sehr viel Aufwand. Wenn man dann 50 bis 100 Leute hier hat, die sich bestimmt freuen, dass man eine Band aus England hierhin geholt hat, dann aber zum Kiosk gehen und da trinken, dann müssen wir zumachen.

Cold Transmission Festival | mit Joy/Disaster, Silent Runners, Iamtheshadow, Antipole, Crying Vessel, Aftershow-Party by Disorder | Sa 13.7. 19.30 Uhr | Blue Shell | blue-shell.de

Interview: Jan Schliecker

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