Manch ungeübtem Theaterbesucher einer Vorstellung entringt sich nach mehrstündigem Staunen endlich die Frage: „Und wie sich der Protagonist den ganzen Text merken kann?“ Das legt beim Theaterkenner regelmäßig die Stirn in Falten. Das Memorieren des Textes bedeutet den Startpunkt kreativer künstlerischer Leistung, Text wird nicht aufgesagt, er muss mit Leben gefüllt werden, neu geboren und entwickelt werden in der jeweiligen Inszenierung. In der Musik heißt die dilettantische Frage neben der, warum die (das Orchester) einen Dirigenten brauchen: „Wieso gelangen immer wieder dieselben alten Schinken auf das Dirigierpult?“ Auskunft könnte in dieser Frage sehr gut die chinesische Dirigentin Elim Chan geben. Sie befand sich im ersten Leben auf dem Weg zur Detektivin.
Forensik und Psychologie pflasterten zunächst ihren Studienweg, zwei Disziplinen, die jedem Musiker nicht nur beim erstmaligen Öffnen einer Partitur als Werkzeug dienlich sein können. Material und mögliche Wirkung müssen sehr individuell begutachtet werden. Und eigentlich jede Notensammlung birgt zahllose Geheimnisse und strategische Wege – für Elim Chan tausend Chancen, Fälle zu lösen.
Chans grundsätzlich positive Einstellung auch zum Beruf der Dirigentin hatte die kindlich genossene Micky Maus in „Fantasia“ ausgelöst. Als sie dann mit 8 Jahren im Konzert live eine Dirigentin erleben durfte, verstärkte sich der Wunsch, selbst alle Fäden in die Hand zu nehmen. Der Chorleiter ihrer Universität überzeugte die junge Detektiv-Studentin, ihr Fach zu wechseln: eine kluge Entscheidung, ein Start zu einer Weltkarriere, die vor zehn Jahren mit dem Gewinn eines renommierten internationalen Wettbewerbs neuen Schub erhielt. Seit 2019 leitet sie als Chefin das Antwerp Symphony Orchestra, mit dem sie jetzt in Dortmunds Konzerthaus den dicken Wälzer der 4. Sinfonie von Tschaikowsky aufschlägt.
Da es bereits sehr weihnachtet, darf der einstige „Junge Wilde“ Martin Fröst, Schwedens erste Adresse in Sachen Holzbläser, Mozarts Klarinettenkonzert aufspielen, wahrscheinlich auf der Bassettklarinette – beim „Konzert der Konzerte“ setzt die Recherche des Interpreten bereits bei der Instrumentenwahl an. Und Fröst, der auch als Dirigent in verschiedenen Stilistiken beheimatet ist, beherrscht alle gängigen Lesarten: Adagio ohne Zuckerguss wird garantiert.
Mozart Klarinettenkonzert / Tschaikowsky Sinfonie Nr.4 | Do 7.12. 16 Uhr | Konzerthaus Dortmund | 0231 22 69 62 00
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