My Week with Marilyn
GB, USA 2011, Laufzeit: 103 Min., FSK 6
Regie: Simon Curtis
Darsteller: Michelle Williams, Eddie Redmayne, Julia Ormond, Kenneth Branagh, Pip Torrens, Emma Watson, Geraldine Somerville, Michael Kitchen
>> www.myweekwithmarilyn.de
Annäherung an einen Mythos
Ich ist eine andere
„My Week with Marilyn“ von Simon Curtis
Marilyn Monroe – das ist längst keine Person mehr. Marilyn Monroe ist ein Mythos, eine Legende, eine Ikone. Und wahrscheinlich war Marilyn Monroe nie etwas anderes als das. Und doch gab es dahinter dieses 1926 geborene biologische Wesen, das aussah wie die Marilyn Monroe, die in unserem kollektiven Gedächtnis eingeschrieben ist. Dieses Wesen hieß bis 1956 offiziell Norma Jeane Mortenson, die letzten sechs Jahre ihres kurzen Lebens hieß sie auch auf dem Papier Marilyn Monroe. Eins wurden die beiden dennoch nie.
Verschiedene Welten
Im Sommer 1956 führt die innere Teilung zunehmend zu Problemen. Marilyn Monroe (Michelle Williams) kommt für die Dreharbeiten zu der Komödie „Der Prinz und die Tänzerin“ von und mit Laurence Olivier (Kenneth Branagh) nach London. Die Spannungen zwischen dem klassischen britischen Theaterdarsteller und der um Anerkennung als seriöse Schauspielerin bemühten Monroe, die gerade das Method Acting von Lee Strasberg für sich entdeckt hatte, waren vorprogrammiert. Hier prallten in mehrfacher Hinsicht Welten aufeinander. In diesen Konflikt gerät der 23jährige Produktionsassistent Colin Clark (Eddie Redmayne). Clark will um jeden Preis zum Film und belagert Oliviers Produktionsfirma, um einen Job zu bekommen. Er erhält seine Chance, als der Weltstar Marilyn Monroe mit seinem frisch angetrauten Gatten, dem Dramaturgen Arthur Miller, nach England kommt. Als es zu ersten Konflikten zwischen Monroe und Olivier kommt, kann Clark noch mit seiner jugendlich-leichten Art vermitteln. Doch als die Probleme immer deutlicher zu Tage treten und Monroe nach der Rückreise von Arthur Miller in Clark einen Verbündeten sucht, fühlt er sich zunehmend verantwortlich. Wenn Monroe in ihrer Sucht nach Liebe und Anerkennung in Depressionen versinkt oder im Tablettenrausch dem Set fernbliebt, wird Clark zu ihr geschickt. Schon bald ist sie es, die ihn regelmäßig zu sich ruft. Langsam lernt er auch ihre manipulative Art kennen, ohne es zu merken.
Gerade lieferte „The Artist“ Einblicke in die Filmindustrie und das Starsystem der 1920er und 1930er Jahre. „My Week with Marilyn“ leistet zwar Ähnliches für die 50er und 60er Jahre – aber auf ganz andere Art. Das Drehbuch basiert einerseits auf Colin Clarks 1995 erschienenem, allgemeinerem Bericht über den Filmdreh, andererseits auf seinem fünf Jahre später veröffentlichten, intimeren Buch über seine Zeit mit Monroe. Der Film ist also kein klassisches Biopic und macht nicht den Fehler, das ganze Leben eines Menschen in 90 Minuten nachzeichnen zu wollen. Derartige Vorhaben scheitern oft an zwei Punkten: Zum einen stolpern sie meist nur von Ereignis zu Ereignis. Zum anderen behaupten sie einen objektiven Standpunkt, behaupten als vermeintlichen Qualitätsstempel, „eine wahre Geschichte“ zu erzählen. „My Week with Marilyn“ vermeidet beide Fehler. Dabei geht Regisseur Simon Curtis nicht einmal einen betont unkonventionellen Weg wie beispielsweise Todd Haynes mit seiner multiperspektivischen Bob Dylan-Annäherung „I'm not there“. Curtis macht klassisches Erzählkino. Aber er zurrt nicht jeden losen Faden fest. Er präsentiert uns eine Figur voller Widersprüche.
Verschiedene Ichs
Curtis verlässt sich voll auf die Möglichkeiten von Michelle Williams, zwischen der unsicheren Norma Jeane und der selbstsicheren Marilyn zu wechseln, ohne dass man denkt, eine von beiden sei die „echte“. Vielleicht am eindrucksvollsten ist dieses Spiel, wenn Colin Clark und Marilyn Monroe einen gemeinsamen Ausflug unternehmen. Hier wirkt sie zwar wie befreit, aber echt? Da steht Norma Jeane auf einer Treppe in Windsor Castle, vor ihr das vom Überraschungsbesuch beglückte Personal, und sie fragt Colin Clark lächelnd: „Soll ich sie sein?“. Dann stolziert sie genießerisch als MM die Treppe hinunter. Wo ist da Norma Jeane? She's not there, würde Todd Haynes frei nach Arthur Rimbaud sagen. Diese Star-Schizophrenie gibt es nicht erst seit Madonna, Britney Spears oder Lady Gaga. Und es gab immer schon diejenigen, die das Spiel mit den Identitäten souverän beherrschten, und jene, die sich darin verloren.
Bei Monroes Ausflug mit Clark muss man unwillkürlich an „Ein Herz und eine Krone“ mit umgekehrten Vorzeichen denken, auch wenn Audrey Hepburn nicht nur äußerlich das Gegenteil von Monroe ist. William Wylers Romanze von 1953 zeigt, wie Hepburn als junge Prinzessin für ein paar Tage mit einem Reporter mitten in Rom vor ihrer öffentlichen Rolle flüchtet. Simon Curtis inszeniert die spielerische und im Kern doch so existenzielle Flucht von Monroe wie einen leichten Spätsommertraum, in dem Norma Jeane trotz der scheinbaren Freiheit aus ihrem zweiten Ich nicht mehr herausfindet. „Die Menschen sehen in mir nur Marilyn Monroe. Sobald sie merken, dass ich es bin, nehmen sie Reißaus“, sagt sie, und glaubt selber noch, dass es ein echtes und ein unechtes Ich gibt. Eine Frau voller Widersprüche – und ein Film, der ihr das zugesteht.
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