Rotterdam kann nicht nur Hafen. Auch die Markthalle zieht dank ihrer bizarren Architektur die Blicke auf sich. Für die Ohren sorgt das Rotterdam Philharmonic Orchestra, das zweitgrößte Orchester der Niederlande. Dieses präsentiert in Essen wiederentdeckte Kostbarkeiten: Zwei Violinwerke von Florence Price, der ersten schwarzen Komponistin und Pionierin einer genuin amerikanischen klassischen Musik. Ihren ersten Auftritt als Pianistin absolvierte sie 1891 mit gerade einmal vier Jahren. Erste Werke schrieb sie mit elf, den Durchbruch brachte 1932 eine Sinfonie. Bis dahin lebte sie von Klavierunterricht und als Stummfilmorganistin. Nach ihrem Tod Anfang der Fünfziger geriet ihr Werk in Vergessenheit. 2009 wurden bei einer Hausrenovierung in Illinois zahlreiche Manuskripte der Komponistin gehoben, ein wahrer Schatz zu rechten Zeit. Nun begann die Aufarbeitung ihres Erbes. Seit einigen Jahren kümmert sich das International Florence Price Festival darum, zusammen mit einigen Größen aus der Musikbranche.
Ein mittlerweile gewichtiger Vertreter dieser Szene heißt Yannick Nézet-Séguin. Leichtigkeit, Beweglichkeit, ungezügeltes Temperament unter stählerner Kontrolle, unbedingte Begeisterung für das jeweilige Werk – diese Eigenschaften brachten ihn auf der Kurzstrecke zu den berühmtesten Lehrmeistern wie seiner „Vaterfigur“ Carlo Maria Giulini und sogar zu Spezialisten wie Hermann Max, dem musikalischen Patron des rheinischen Klosters Knechtsteden.Zehn Jahre leitete Yannick das Rotterdam Philharmonic Orchestra, heute ist er dessen Ehrendirigent. Als amtierender Musikdirektor der New Yorker Met kümmert er sich auch um nationale Klänge aus Amerika. Mit seinem Orchester in Philadelphia spielte er 2022 zwei Sinfonien von Florence Price ein – er ist ebenso ein Fan wie der junge Geiger Randall Goosby, der dem Essener Publikum nicht nur das 2. Violinkonzert vorstellt, sondern auch einen ganz besonderen Hit: „Adoration“, ein Stück für Orgel, jetzt arrangiert für Geige und Orchester, wurde in jüngster Vergangenheit zum absoluten Renner in jedweder Besetzung, vom Synthesizer bis zum Bläserquintett. Das kurze Stück erregt in seiner Einfachheit starke Emotionen, die im Essener Konzert sogleich vom Lehrmeister Brahms recht akademisch abgekühlt werden – klassisch romantisch auf höchstem Niveau.
Yannick Nézet-Séguin / Rotterdam Philharmonic Orchestra | Di 30.4. 19 Uhr | Philharmonie Essen | 0201 812 22 00
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