Schwarz-romantische Musicals wie „Shockheaded Peter“ und „The Black Rider“ sind die Würze im oft seichten Genre-Teich der Event-Produktionen à la „Tarzan“. Nun hat das US-Regie-Enfant-terrible Robert Wilson mit seiner bildgewaltigen Umsetzung des von der britischen Singer-Songwriterin Anna Calvi vertonten E.T.A. Hoffmann-Schauermärchen „Der Sandmann“ am Düsseldorfer Schauspielhaus ein weiteres künstlerisches Ausrufezeichen gesetzt.
Jeden Abend bekommt der kleine Nathanael von seiner Mutter die Gruselgeschichte vom Sandmann erzählt, der Kindern, die nicht schlafen wollen, so lange Sand in die Augen streut, bis diese blutend aus ihren Höhlen fallen. Die Schauermär verfolgt ihn sein Leben lang, treibt ihn schließlich in Wahn und Tod. Kein Theaterabend also für die ganze Familie! Denn die zwischen Scherenschnitt, Wilhelm Busch und Tim & Struppi angelegten Figuren, die durch Wilsons pittoreske Tableaus mäandern, sind Alptraum-verdächtig. Auch wenn Wilsons intellektuelle Spielereien manchmal zur Redundanz neigen, die großartigen Protagonisten, allen voran Christian Friedel (als kleiner und erwachsener Nathanael) und Rosa Enskat (als seine Mutter) überspielen dieses Timing-Problem mit starkem Spiel und schönen Stimmen, die den Songs Ohrwurm-Qualitäten verleihen.
Auch in der Musical-Talentschmiede im Wuppertaler Vorort Cronenberg hat man – im Rahmen seiner bescheideneren Möglichkeiten – alles richtig gemacht, um die Emanzipations-Geschichte der naiven, jungen Frau, die bezeichnenderweise auf den Namen ihrer Lieblings-Modezeitschrift „Elle“ hört, unterhaltsam auf die Bühne zu bringen.
Der bekannte Musicaldarsteller Dustin Smailes, der zum zweiten Mal Regie führt, hat die Besetzungsliste geschickt reduziert: Sein nur noch Zehn-Personen-Cast schlüpft teilweise in verschiedene Rollen, Elles Eltern wurden ganz gestrichen. Smailes gelingt es vor allem, die schauspielerischen, tänzerischen und gesanglichen Talente seiner Amateur-Truppe zu einer reifen Ensembleleistung zu formen. Wobei natürlich nicht verschwiegen werden soll, dass die Dramaturgie des Musicals ganz auf die Hauptdarstellerin zugeschnitten ist. Und der gibt Annika Tahiri eine umwerfende Bühnenpräsenz: Sie ist geradezu eine „Wuchtbrumme“ Musical-ischen Talents.
Auch der renommierte Choreograf Paul Kribbe ist zum zweiten Mal im TiC dabei, hat flotte Tanzeinlagen kreiert, die dynamisch das turbulente Geschehen unterstützen und alle Darsteller gut aussehen lassen. Kerstin Fabers schlägt innovativ in dieselbe Kerbe: Eine Hintergrund-Dia-Ansicht von Harvard gibt den Schauplatz wieder, die Innenräume von Vorlesungsraum über einen Friseursalon bis hin zum Gerichtsaal werden mit Mehrzweck (Sitz-)Quadern und entsprechend bemalten Stellwänden illusioniert. Und der Musikalische Leiter Stefan Hüfner hat die Songs so pointiert arrangiert, dass man die Vielfalt von Laurence O´Keefes und Nell Benjamins Musical-Score ungetrübt genießen kann.
„Der Sandmann“ | R: Robert Wilson | ausverkauft bis Februar | Düsseldorfer Schauspielhaus | www.dhaus.de
„Natürlich blond“ | R: Dustin Smailes | 6., 9., 22., 23., 30.12. 20 Uhr, 10.12. 11 Uhr, 26.12. 15.30 Uhr | TiC-Theater Wuppertal | www.tic-theater.de
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