Was die Mischung aus schwarzem Humor, Musical-kompatiblem Sex und Gewalt angeht, könnte sich „Die Addams Family“ im Schatten der „Rocky Horror Picture Show“ und „Der kleine Horrorladen“ eigentlich schon zum Kult-Musical entwickelt haben – zumal die im vergangenen Jahr ausgestrahlte Netflix-Produktion „Wednesday“ zur viertbeliebtesten Serie des Streaming-Anbieters avancierte. Aber leider stehen dem Kult-Status immer noch Andrew Lippas mit vielen Reprisen arbeitender Score – von dem kaum eine Melodie im Ohr hängen bleibt – und das durch viele Redundanzen aufgeblähte Buch von Marshall Brickman und Rick Elice im Weg. Zum Glück hat der musikalische und künstlerische Leiter der Musical-Sparte am TiC, Stefan Hüfner, diese Schwachstellen erkannt und Textstraffungen, sowie Rollen- und Songstreichungen vorgenommen, die das Happy End etwas flotter nahen lassen als üblich.
Das Stück beginnt mit einem eiskalten Händchen, welches sich nach einigen musikalisch untermalten „Kapriolen“ zwischen den beiden Vorhanghälften zurückzieht. Als sich dieser dann öffnet, staunen wir erstmal über das Bühnenbild von Jan Bauerdick und Benedikt Fiebig, die uns mit stimmungsvollen Prospekten auf den liebsten Aufenthaltsort der Addams, den Friedhof, entführen. Dort gibt sich die morbid-skurille Familie ein Stelldichein – eingekleidet in den phantasievollen Kostümen von Noelle-Magali Wörheide. Der alltägliche Horror um das dem Unglücklichsein frönende Ehepaar Morticia (Anja Bielefeld) und Gomez (Leon Gleser), ihren sadistisch veranlagten Kindern Wednesday (Giulia DÁcquisto) und Pugsley (Fiona Röhrig in einer Hosenrolle), dem nur unartikulierte Laute von sich gebenden Butler Lurch (Vassilis Sachinidis), der „Zaubertränke“-mischenden Oma (Saskia Deer) und dem den Mond anheulenden Onkel Fester (Florian Siegmund) kann beginnen, bis er jäh vom Besuch des biederen Ehepaars Mal (Dennis Gottschalk) und Alice (Nina Jestel) unterbrochen wird, in deren Sohn Lucas (Victor Kuhlen) sich Wednesday verliebt hat – und die Grenzen zwischen „normal“ und „verrückt“ immer mehr verschwimmen…
Das Programmheft listet für die zehn Rollen des Musicals 27 semiprofessionelle Protagonist:innen auf, sodass jeder Charakter drei bis vierfach besetzt ist. Das zeugt von dem Ruf, den das TiC als Musical-Talentschmiede über die Region hinaus genießt. Auch für Regisseur Dustin Smailes stand sie am Anfang seiner Karriere; er hatte hier als 18-jähriger in der Disco-Revue „Hot Stuff“ (2004) seinen ersten Bühnenauftritt. Mittlerweile ist Smailes ein viel gefragter Musical-Darsteller (u.a. „Cabaret“, „The Rocky Picture Horror Show“, „Carousel“ und „Evita“) und kehrt aus alter Verbundenheit immer wieder ans TiC zurück, um sich dort als Regisseur ein zweites, künstlerisches Standbein aufzubauen. „Die Addams Family“ ist nun nach „Das Appartement“ und „Natürlich Blond“ seine dritte Musicalinszenierung, die vor allem durch seine straffe Schauspielführung und das präzise Gag-Timing überzeugt. Zum zweiten Mal nach „Natürlich Blond“ bildet er hier mit dem aus der deutschsprachigen Musicalszene nicht mehr wegzudenkenden Choreographen (und Schauspieler) Paul Kribbe ein sich scheinbar blind verstehendes Paar. Schauspiel, Gesang und Kribbes genau auf die kleine Bühne und das Talent der Protagonisten zugeschnittenen Tanzeinlagen verschmelzen mit der Spielfreude des gesamten „Addams Family“-Ensembles zu einer Einheit, aus der man keine:n hervorheben möchten, aber andererseits auch die Lust verspürt, sich nach der begeistert aufgenommenen Premiere auch von der 1B- und 1C-Besetzung wohlig gruseln zu lassen.
Addams Family | 3., 4., 15., 17.6 u.w.T. | TiC Theater | www.tic-theater.de
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