Die Skimasken mit den großen Augenlöchern prangen nicht nur auf den Plakaten, auch das Publikum wird von diesen vermummten Gestalten empfangen. Die Masken erinnern an Bankräuber, den Mob am Rande einer Demonstration, aber auch an Pussy Riot. Obwohl der Titel trügerisch behauptet „You Are Safe“, dreht sich in der neuen Tanzproduktion von Silke Z. doch alles um jene numinose Angst, die gleich unter der Oberfläche des öffentlichen Lebens lauert. Der Wunsch nach mehr Polizeipräsenz in einer Zeit, in der die Straftaten statistisch bundesweit stark zurückgehen, spricht von einem Gefühl tiefer Verunsicherung. „Wir wollen dieses Thema körperlich erkunden“, erklärt die Choreografin. Deshalb steht im Zentrum ihrer Arbeit die Bedeutung der Atmung für den Menschen. „Wenn jemand auf der Bühne die Luft anhält, dann machen das die Menschen im Zuschauerraum auch. Das Publikum soll die Angst spüren. Es soll zwar keine Angst bekommen, aber sie erleben“, meint Silke Z.
Mit dem zehnköpfigen Ensemble arbeitet sie in Ensemblesituationen. Gerade wird bei den Proben das Tanzen in Formation eingeübt, wobei sich die Truppe mitunter wie ein Fischschwarm bewegt. Daneben gibt es aber auch Duette. Die Paare sind miteinander vernetzt, das heißt, sie sind in ihrem Atemrhythmus aneinander gebunden. Niemand atmet eigenständig, wenn auch die Kopplungen zwischen den Partnern wechseln. Eine Übung, die große Konzentrationsleistungen von den Akteuren verlangt. Man tastet sich Grenzbereiche vor. Bei den Proben ist es vorgekommen, dass jemand vom Schwindel erfasst wurde. „In diesen Grenzbereichen entstehen aber neue Bewegungen“, berichtet die Choreografin mit leuchtenden Augen. „Einer von beiden hyperventiliert, der andere folgt ihm. Da die Konstitutionen der Tänzer und Tänzerinnen ungleich sind, verstärkt das noch den Druck.“
Die Truppe ist aus Tänzern und Schauspielern im Alter zwischen 21 und 65 Jahren, aus Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen zusammengesetzt. „Ich glaube, dass für uns als Tänzer in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation unsere Stunde geschlagen hat“, meint Silke Z. „Wir arbeiten stets grenzüberschreitend, und zwar sowohl körperlich wie auch geografisch. Wir haben keine Sprachbarriere, weil sich die Körper immer verstehen.“
In der neuen Produktion geht es darum, die Bedrohung anzuschauen. „Ich muss da durch, muss lernen, damit zu leben“, erklärt sie und berichtet von einem Besuch mit ihren beiden Kindern auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Dom in Köln. Ganz plötzliche sei ihr der Gedanke gekommen, dass dies doch der ideale Ort für einen Anschlag wäre, und gestand, dass sie die Kinder zu gehen gedrängt habe. Inzwischen geht es dir darum, die Angst nicht zu verleugnen, sondern sich ihr zuzuwenden, denn die Furcht ist auch ein körperliches Phänomen, das auf der Bühne angeschaut werden sollt.
„You Are Safe“ | Ch: Silke Z. | 21.(P), 22.6. 20 Uhr, 24.6. 18 Uhr | Alte Feuerwache | 0221 222 666 3
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