Sie heißen Roland, Chiemgauer, Justus oder Sterntaler. Sie sind aus Papier, besitzen einen Wert, und man kann mit ihnen einkaufen. Die Rede ist von Komplementärwährungen, die neben dem Euro als Zahlungsmittel existieren und nur in einer Region oder Kommune gültig sind. Rund dreißig dieser Währungen gibt es in Deutschland, von Bremen bis Bayern. Jetzt kommt eine neue dazu: die Kohle in Oberhausen. In ihrem Projekt „Schwarzbank. Kohle für alle!“ wird die Gruppe geheimagentur in Zusammenarbeit mit dem Theater Oberhausen für zwei Wochen ein zusätzliches Zahlungsmittel einführen. Es soll Ein-, Fünf- und Zehn-Kohle-Scheine geben, mit denen man Waren und Dienstleistungen bezahlen kann: zum Beispiel am Theater, beim Frisör, am Kiosk, im Tattoostudio, Modehaus oder Spielzeuggeschäft; man kann Kinder gegen Kohle in den Kindergarten bringen oder Objekte in eine Pfandleihe in Zahlung geben. „Wir bauen gerade ein Netzwerk von Geschäften auf“, sagen die Mitarbeiter der geheimagentur. Ausgegeben wird die neue Währung am 16. März: Im Theater wird es Euro von der Decke regnen, die dann in Kohle umgetauscht werden; außerdem eröffnet in der Innenstadt an der Elsässer Straße eine eigene Bankfiliale: die Schwarzbank.
Was nach einer wilden Performance klingt, hat einen ernsten politischen Hintergrund. Das Wachstums- und Wettbewerbsparadigma des gegenwärtigen Wirtschaftssystems führt zu kulturellen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Verwerfungen, die in entwicklungsschwachen Regionen verheerend wirken. Oberhausen und das Ruhrgebiet haben den wirtschaftlichen Niedergang durch den Strukturwandel bis heute nicht verkraftet und werden aus der Schuldenfalle nicht selbstständig herauskommen. Die regional begrenzte Gültigkeit der Komplementärwährung kann ein Mittel sein, den Kapitalabfluss zu stoppen und den regionalen Wirtschaftskreislauf zu beleben. Das große Vorbild ist die Palma-Währung und die Banco Palmas in dem brasilianischen Ort Fortaleza, mit der auch die geheimagentur kooperiert. „Brasilien ist unsere Zukunft“, sagen die Geheimagenten und sprechen von „umgekehrter Entwicklungshilfe“. Mitarbeiter der Banca Palmas haben nicht nur die Macher beraten, sondern werden In Oberhausen auch von ihren Erfahrungen berichten. Die Komplementärwährung in Fortaleza sei, berichtet die geheimagentur, auch eine „social currency“, mit der soziale und kulturelle Projekte bezahlt werden. Das soll auch in Oberhausen versucht werden. Voraussetzung und willkommene Folge ist, dass die Bürger darüber miteinander ins Gespräch kommen und sich über Fragen des Wertes ihrer Arbeit neu austauschen müssen. Die Mitarbeiter der geheimagentur, die ihre Individualität hinter dem Gruppennamen verschleiern, sind sich im Klaren darüber, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung in Oberhausen nicht umkehren oder neue Arbeitsplätze schaffen. Es geht ihnen darum, einen Anstoß zu geben. „Wir werfen einen Stein ins Wasser“, sagen sie bescheiden. Bei der Abschlussveranstaltung am 31. März wird die Schwarzbank dann ihre Bilanzen vorlegen, und die werden sicherlich anders aussehen als die der Deutschen Bank.
„Schwarzbank. Kohle für alle!“, ein Stadtprojekt der geheimagentur | Theater Oberhausen | 16.-31.3. | www.theater-oberhausen.de, www.schwarzbank.org
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