Es ist ein Motiv, das sich durch Meg Stuarts bisheriges Schaffen zieht: Zwei Körper, die auf der Bühne robben, oder zwei Menschen, die aufeinander zugehen und schließlich die Hände ineinander falten. Es sind eben einfache Bewegungsstudien, welchedie Choreografin Stuartbereits als Teenager in ihren Tanzstudien erforschte – bevor sie eine internationale Bühnenkarriere hinlegte. Das choreographische Moment vermengt sich übrigens mit einer Alltagsgeste, die als banal und selbstverständlich in der westlichen Kultur gilt (oder galt): das Händeschütteln zur Begrüßung.
Berührung und Nähe versprechen bekanntlich eine intensive Zeiterfahrung. Damit war es im Alltag der Menschen schließlich vorbei, als „Social Distancing“ nötig wurde. War der langwährende Lockdown damit ein Sinnesentzug, ein Zwangsinnehalten, ein „rasender Stillstand“ (Paul Virilio), da die Zeit natürlich weiterlief? Meg Stuart spricht in einem Interview vom einem „kollektiven Reset“. Das klingt deutlich optimistischer, da es danach ja ganz frisch weitergeht. Aber es klingt auch genauso banal wie das Händeschütteln.
Doch was, wenn es darum geht, dem fließenden wie chaotischen Strom der Zeit zu widerstehen? Darum dreht sich die neueste Produktion von Meg Stuart und Damaged Goods, eine Compagnie, die Stuart 1994 gründete, um Projekte kollektiv zu entwickeln. „Cascade“ kreist im Rahmen der diesjährigen Ruhrtriennale um die Frage, wie der Vergänglichkeit zu entfliehen ist. Sieben Tänzer begegnen sich dafür auf der Bühne von PACT Zollverein, um neue Formen der Interaktion, Gemeinsamkeit und Zeitlichkeit zu evozieren.
Dazu erklingt die für diesen Abend komponierte Musik von Brendan Dougherty, die live von zwei Schlagzeugern interpretiert wird. Stuart integriert verschiedene künstlerische Disziplinen in ihre Inszenierungen. Mit involviert in der jüngsten Produktion ist auch wieder der Bühnenbildner und Theatermacher Philippe Quesne. Stuarts Ästhetik ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Tanz und Theater. Dialog und Bewegung, Erzählungen und Requisiten gehören zu den zugleich reflektierenden Gegenständen der Choreographien. Alle diese Kunstelemente kreisen um die Unbeständigkeit desKörpers, diesmal im Strudel der Zeit und der Vergänglichkeit.
Cascade | 10., 11., 12.9. 20 Uhr | PACT Zollverein Essen | 0201 289 47 00
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