„Je mehr man weiß, umso variabler kann man sich ausdrücken.“ Das sagt keine Linguistin, sondern mit Daniela Riebesam eine junge Tanzwissenschaftlerin, die selbst auf der Bühne agiert. Im Rheinland gehört sie momentan zu den interessantesten Tänzerinnen der Freien Szene. In den Kölner ehrenfeldstudios agiert sie im Ensemble der Metabolisten von Silke Z., zugleich ist sie aber auch in den Produktionen von Bibiana Jimenez zu sehen. Etwa im „Exxperiment“, einer Choreographie über das Leben der Malerin Marta Hegemann, die im Kreis der Jungen Progressiven um Anton Räderscheidt und August Sander viel zu wenig wahrgenommen wurde. Für die Inszenierung erhielten Jimenez und ihr Team den Kölner Tanztheaterpreis.
„Bibiana weiß, was sie will“, erklärt Daniela Riebesam, und sie scheint die Ideen der kolumbianischen Choreographin kongenial umsetzen zu können. Das zeigte sich in diesem Sommer erneut in der Produktion „Miss Gyné“. Vordergründig geht es hier um die Obsessionen und Ängste der Incels, jener Männer, die keine sexuelle Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht haben und darüber einen gefährlichen Frauenhass entwickeln. Ein Thema, das tief in die Geschlechterdebatte der Moderne hineinführt und das Spiel mit den Rollen weiblicher Identität zum Gegenstand hat. Ebenso lustvoll wie behände dominiert Daniela Riebesam die männlichen Protagonisten ohne je in den Schwulst einer Salomé oder Lulu zu verfallen. „Wie werden Frauen gelesen?“ – das ist für Riebesam die zentrale Frage des Spiels um weibliche Macht. Ein Spiel der Bilder, die fließend von der digitalen Projektion in die Choreographie hinübergleiten.
Erstaunlich wirkt die Sicherheit, mit der die 24-Jährige durch den Parcours der Stereotypen schreitet. Vorwärtsdrängend, voller Energie und zugleich gelassen mit dem Wissen darum, dass sie all die Projektionen von Dominanz, Verführung und Macht wieder abstreifen wird. Sie zeigt, dass Weiblichkeit mehr als die Summe aller Rollen ist. „Eine Wahrnehmung für den Körper zu entwickeln“, das ist ihr ästhetisches Anliegen, und das geht über die Grenzen des gewöhnlichen Bühnentanzes hinaus. In Silke Z.s Produktion „Liebe ist… PRIME!“ wird genau dieser Übergang zur Alltagssprache der Bewegung zum Thema: „Die Grenzen zum Tanz will ich gar nicht ziehen“, sagt sie während einer Probe. Damit öffnet sie aber nicht der Beliebigkeit das Feld, sondern betont, „dass zum Tanz auch der Kopf gehört“, und der geht dort auf Abenteuersuche, wo die bekannten Gefilde des Tanzes verlassen werden.
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