Es ist ein Schicksal, als Mann oder Frau geboren zu sein. Mit dem Geschlecht verbinden sich lebenslange Prüfungen, da uns der Körper immer definiert. Die Tanzkunst führt uns diese Tatsache unmittelbar vor Augen. Wobei der Solotanz so etwas wie die Königsdisziplin dieser Kunst darstellt. Im Solo geht es ein wenig wie bei der Kammermusik zu, jeder Fehler, der dort gemacht wird, fällt sofort auf. Zugleich stellt die Bühne so etwas wie ein Vergrößerungsglas dar, in dem wir den menschlichen Körper mit seiner Schönheit und der Trägheit seines Fleisches besonders konzentriert betrachten können. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass eine Künstlerin wie die Schweizer Choreographin Yasmine Hugonnet ihr „Récital des Postures“ nackt tanzt. Das Rezital ist eine Konzertform für ein Instrument, das hier vom menschlichen Körper ersetzt wird. Dessen Ausdruckskraft konstruiert und dekonstruiert Hugonnet mit ruhigen Posen, die in ihrer Folge zu einer Sprache werden, in der sie mit ihrem Publikum kommuniziert.
Zu sehen ist dieses besondere Rezital im Rahmen des Bonner Solotanzfestivals vom 12. bis 27. Juni. Einem Festival, das für Tanzfreaks ebenso wie für Menschen, die Eingang in die Welt des Modernen Tanzes suchen, eine kleine Offenbarung darstellt. Mit seinem pointierten Zuschnitt vermag das Festival immer wieder die aktuellen Entwicklungen der internationalen Szene zu spiegeln. Jedes Solo ist auf seine Weise ein Ereignis, wobei sich in diesem Jahr das Programm komplett um den weiblichen Körper dreht. Mit einem Paukenschlag beginnt der Reigen in der Brotfabrik, wenn die Künstlergruppe t.r.a.s.h. aus dem niederländischen Tilburg ihre funkelnd ironische Produktion „Milk / It Used to Be Porn“ zeigt, in der eine Frau vor einem Hindernisparcours steht, der von Männern verwaltet wird. Es wird Krieg geben. Nach dem Krieg spielt hingegen „The Return of Penelope“ von Athanasia Kanellopoulou. Mit dem Urbild der Ehefrau, reflektiert die international renommierte griechische Tänzerin, die an der Rambert School in London ihr Handwerk erlernt hat, die unbeugsame und die sehnsuchtsvolle Seite der weiblichen Existenz.
Neben der Brotfabrik und dem Theater im Ballsaal wird es in diesem Jahr auch „Open Air“ Kostproben des Festivals in der Stadt geben. 15 Produktionen aus zwölf Ländern sind eingeladen, wobei sich CocoonDance mit seiner aufwendigen Produktion „Revisiting Wonderland“ den Schlusspunkt reservierte. Eine Produktion, die getanzt von der Kanadierin Laure Dupont das komplexe Verhältnis von Text und Bild in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ reflektiert. Man darf gespannt sein, wie die ambitionierte Dramaturgie von Cocoon mit der Vielzahl der Medien und den unterschiedlichen Stilrichtungen der Illustrationen, in denen Alice für jede Epoche neu gewonnen werden konnte, auf der Bühne umgehen wird.
5. Internationales Bonner Tanzsolofestival | 12.-27.6. | www.bonn-dance.net
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