Anomalisa
USA 2015, Laufzeit: 90 Min., FSK 12
Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson
Darsteller: David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan
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Tief berührender Trickfilm
Entfremdetes Puppengesicht
„Anomalisa“ von Duke Johnson & Charlie Kaufman
Bislang schneidet der neue Film von Charlie Kaufman bei der internationalen Filmkritik extrem gut ab. Das ist bei einem Kritikerliebling wie Kaufman, der mit seinen Drehbüchern zu Filmen wie „Being John Malkovich“ (1999), „Human Nature“ (2001), „Adaption“ (2002), „Confessions of a Dangerous Mind“ (2002) oder „Vergiss mein nicht!“ (2004) von Regisseuren wie Michael Gondry oder Spike Jonze regelmäßig für Begeisterung gesorgt hat, nicht so ungewöhnlich. Doch die Einstimmigkeit, mit der der Lobgesang anhebt, ist sogar für einen Charlie-Kaufman-Film erstaunlich. Zumal es sich um einen klassischen Puppenfilm handelt.
Perfekte Projektionsfläche
Michael Stone schreibt Ratgeber. Damit ist er für viele Menschen zu einem Guru in Fragen erfolgreicher Kommunikation geworden. Der Familienvater schreibt nicht nur Bücher, er tourt auch mit Vorträgen durch die Städte. Stone ist ein erfolgreicher Mann. Doch er kann das nicht genießen. Im Flugzeug, im Taxi auf dem Weg zum Hotel und schließlich in seinem Hotelzimmer sehen wir einen leicht griesgrämigen, lustlosen, bestenfalls melancholischen Mann mittleren Alters – eher apathisch als ausgeglichen. Stone wirkt depressiv, und da der Film seine subjektive Perspektive einnimmt, weiß der Zuschauer auch bald, wie sich die Welt für ihn anfühlt: Die Farbpalette ist bestimmt von wenigen Braun- und Grautönen, und nicht nur die Farben wirken dumpf, auch die Umweltgeräusche. Nicht umsonst wurde „Anomalisa“ bereits mit Sofia Coppolas „Lost in Translation“ verglichen. Beide Hotelfilme sind durchströmt von dieser eleganten, aber unspezifischen, abgedämpften Stimmung, die einen kaum etwas spüren lässt – weder im Guten noch im Schlechten. Im Gegensatz zu Coppolas Hauptfigur äußert sich Michaels Krise aber nicht in zynischem Humor, sondern in Gleichgültigkeit. Stones Gleichgültigkeit führt dazu, dass er die Personen alle gleich wahrnimmt, bis hin zur Stimme. In „Anomalisa“ haben alle Figuren dieselbe Stimme (Tom Noonan: „Last Action Hero“), nur Michaels Stimme (David Thewlis, „Harry Potter“) unterscheidet sich. Doch in einem psychotischen Augenblick hört Michael plötzlich eine echte, individuelle Frauenstimme (Jennifer Jason Leigh). Sie gehört Lisa, einem unscheinbaren Mädchen vom Land, das extra angereist ist, um seinen Vortrag zu hören. Michael ist fasziniert von dieser natürlichen Persönlichkeit – und sie ist in seinem Krisenzustand die perfekte Projektionsfläche für ihn.
Hyperreale Vexierbilder
„Anomalisa“ hatte eine Startfinanzierung von einer halben Millionen Dollar, die per Crowdfunding gesammelt wurde. Über das herkömmliche Studiosystem Hollywoods konnte Kaufman keine Finanzierung erwarten. Nachdem Spike Jonze als Regisseur abgesprungen war, machte Kaufman 2008 aus seinem Drehbuch zu „Synecdoche, New York“ seine erste Regiearbeit. Der Film wurde von der Kritik gefeiert, vereinzelt sogar als bester Film der Dekade, machte aber an den Kinokassen einen Verlust von 16 Millionen Dollar. In Deutschland lief der Film erst gar nicht an. So etwas rächt sich in Hollywood, auch wenn man zuvor viele Erfolge feiern konnte. Sieben Jahre dauerte es, bis Kaufman seinen nächsten Film realisieren konnte.
„Anomalisa“ war ursprünglich als Hörspiel konzipiert, fand dann als Stück auf die Theaterbühne und kommt nun mit Co-Regisseur Duke Johnson als Puppenfilm in Stop-Motion-Technik auf die Kinoleinwand. Was genau die Umsetzung als Puppenfilm sowohl mit der Story als auch dem Zuschauer macht, lässt sich vielleicht gar nicht genau beschreiben. Aber das Gefühl der Entfremdung, neben sich und der Welt zu stehen, transportiert „Anomalisa“ besser als jeder Realfilm. Und das liegt nicht nur an den maskenhaften Gesichtern der Puppen, sondern an der befremdlichen Grundstimmung. Schon bald gewöhnt man sich zu seiner eigenen Überraschung an dieses Setting so sehr, dass man nicht nur ohne Irritationen einer expliziten Sexszene beiwohnt, sondern auch alle damit verbundenen Gefühle ohne weiteres mitfühlt. Der Sex sowie die morgens folgende Ernüchterung gehören zu den bewegendsten Momenten dieses emotional dichten Films, der in seinem Zentrum wieder einen dieser typischen Kaufman-Clous hat: Es wäre sicher interessant, Grafiken zu seinen merkwürdigen Erzählformen zu erstellen. Die verdrehten Stories mit Loops, merkwürdigen Verzweigungen und andere Irritationen würden aussehen wie Vexierbilder, die man drehen und kippen kann, die sich spiegeln oder ereignisreich überlappen. So erinnert die Story des neuen Films an eine Moebiusschleife, die ein in sich verdrehtes Band spannt, das dennoch wieder zum Ursprung zurückfindet.
Kann ein Film wie „Anomalisa“ zwischen all den perfekt animierten digitalen Trickfilmen bestehen? Oder ist nicht vielmehr gerade die Übermacht der technischen Perfektion Grund dafür, dass in den letzten Jahren Filme wie der grob in Schwarz-Weiß gezeichnete „Persepolis“ von Marjane Satrapi, die Stoffpuppe „Mr. Fox“ von Wes Anderson oder die Knetfiguren in „Mary & Max“ einen ganz besonderen Eindruck hinterlassen? Die Gefühle, die „Anomalisa“ auslöst, sind jedenfalls realer als bei vielen Realfilmen, die nach Industrienorm gefertigt sind.
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