Blue Valentine
USA 2010, Laufzeit: 112 Min., FSK 12
Regie: Derek Cianfrance
Darsteller: Michelle Williams, Ryan Gosling, Faith Wladyka, John Doman, Mike Vogel, Marshall Johnson, Jen Jones, Maryann Plunkett, James Benatti, Barbara Troy
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Schonungsloses Liebesdrama
Szenen einer Ehe
„Blue Valentine“ von Derek Cianfrance
Der erste Eindruck trügt: Ein idyllischer Blick auf ein Haus auf der Wiese, die Familie beim Frühstück, der Mann kaspert mit der Tochter rum. Doch die Frau ist leicht genervt davon. Leicht genervt ist stark untertrieben, wie sich später zeigt. Wir wohnen vielleicht dem baldigen Ende der Beziehung von Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams) bei. Die Liebe ist schon länger erkaltet, nun scheint sie nur noch das Kind zu verbinden. Dean ist zwar nicht der Vater des Mädchens, aber das ist das geringste Problem – die beiden verstehen sich prächtig. Nur kann das wohl kaum die Beziehung von Dean und Cindy retten, die offensichtlich am Tiefpunkt ist.
Akt der Verzweiflung
Nach seinem gefeierten Debüt „Brothers Tied“, der aus rechtlichen Gründen nie ins Kino kam, wandte sich der Regisseur, der bei der Experimentalfilmlegende Stan Brakhage studiert hat, dem Dokumentarfilm zu. Doch die ganze Zeit über hat er nebenher an seinem zweiten Spielfilm gearbeitet. Auch das neue Projekt war problembelastet. Bereits 2003 hat er Michelle Williams das Drehbuch geschickt, aber für den Dreh fehlte lange Zeit das Geld. Dann kam der frühe Tod von Michelle Williams' Freund Hedge Leather, der der Schauspielerin erst eine Auszeit und dann um Williams' und Ledgers' Tochter wegen dem Film einen Drehortwechsel abverlangte. Am Ende hat sich die Ausdauer gelohnt.
Dean und Cindy haben wenig gemein außer ihrer Herkunft aus schwierigen Verhältnissen. Sie arbeitet in einem Krankenhaus und hat gerade die Chance, ihre Karriere voranzutreiben. Er begnügt sich mit einem Job als Anstreicher und trinkt lieber ein Bier und albert mit der Tochter rum. Als die Kälte zwischen den beiden kaum noch zu überspielen ist, schlägt er eine gemeinsame Nacht in einem Motel vor. Cindy ist nicht sonderlich begeistert, kommt aber dennoch mit. Als wären ihre Gefühle nicht schon kalt genug und ihre Zukunft düster, wählen sie im Themen-Motel das Science Fiction-Zimmer. Dort mühen sie sich damit ab, die alte Liebe zu finden. Sie kehren in Gedanken an den Anfang ihrer Beziehung zurück: Dean, der charmante Kindskopf, ist für Cindy eine Möglichkeit, aus ihrer verkorksten Beziehung mit Bobby, von dem sie ein Kind erwartet, rauszukommen. Dean ist zur Stelle, und er bleibt auch in den nächsten sechs Jahren genau an dieser Stelle. Cindy macht seine Genügsamkeit wahnsinnig. Deans Versuch, die Probleme mit einer tollen Liebesnacht zu klären, ist ein Akt der Verzweiflung, der grausam scheitert. Am nächsten Tag kommen sie um eine Entscheidung nicht länger herum.
Psychologie statt Handwerk
Die verschachtelte Erzählstruktur von „Blue Valentine“ ist nichts Neues in der Filmgeschichte und auch für die Erzählung einer Liebesgeschichte bereits mehrfach verwendet worden. Nicht nur François Ozon hat 2004 in „5x2“ rückwärts von einer gescheiterten Beziehung erzählt. Schon 1967 drehte Stanley Donen mit „Zwei auf gleichem Weg“ mit Audrey Hepburn einen Blueprint für diese Erzählform. Sie ist für ein Beziehungsdrama so geeignet, weil sich mit ihr das vielzitierte hilflose „Was ist nur aus uns geworden?“ entschlüsseln lässt. Blickt man mit dem Ende im Kopf auf den Anfang, sieht man bereits in den kleinsten Details Hinweise auf eine Entwicklung, die schleichend zum Erlahmen der Liebe führt. Eine der größten Qualitäten von „Blue Valentine“ liegt darin, dass Derek Cianfrance es schafft, ohne plakative Dramaturgie, dafür mit vielen kleinen Einzelheiten seine beiden Protagonisten zu charakterisieren bis langsam ein Bild entsteht, das der Zuschauer am Ende viel deutlicher vor Augen hat als die Figuren selbst. Hier kommt die Qualität der beiden Hauptdarsteller ins Spiel – beide zugleich große Stars und Ikonen des Independent-Kinos. Ohne sie hätte Cianfrances Unterfangen leicht scheitern können. Dessen war sich der Regisseur wohl bewusst und hat anstelle langer Proben zur Vorbereitung einfach die Filmfamilie in dem Filmhaus zusammen leben lassen. Wie Williams in einem Interview betont, hat sich Cianfrances dann kaum um das technische Beiwerk gekümmert. Lichtsetzung und andere Vorbereitungen waren in 15 Minuten erledigt, damit der Rest der Zeit voll und ganz auf die Performance der Darsteller verwendet werden konnte, um die psychologischen Feinheiten auszuarbeiten. Williams‘ und Goslings Palette ist dafür groß genug: Sie zeigen die erste Annäherung als naiv-schüchternes Spiel und enden beim gewaltigen Drama. Pathos bleibt dabei außen vor, weil sie stets in ihren Figuren bleiben. Der verspielte Anfang ist ganz zaghaft und weiß noch nichts Genaueres von der kommenden Liebe. Im entromantisierten Alltag ist dann auch kein Platz für Pathos, da gibt es nur noch tiefe seelische Verletzungen.
Warum einen so deprimierenden und fast illusionslosen Film ansehen? Weil er genau hinguckt und einem das zeigt, was man selbst sonst nicht sieht. Man kommt aus dem Kino und will vor allem eins: es besser machen.
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