Elle
Frankreich, Deutschland 2016, Laufzeit: 126 Min., FSK 16
Regie: Paul Verhoeven
Darsteller: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Charles Berling, Virginie Efira, Christian Berkel
>> elle.mfa-film.de
Ungewöhnliches Emanzipationsdrama
Wer ist Katz‘, wer ist Maus?
„Elle“ von Paul Verhoeven
„Verwegenheit und Experimentierwillen“ attestiert Dieter Kosslick, Leiter der Berlinale, dem niederländischen Regisseur Paul Verhoeven, den er für die kommende 67. Ausgabe des größten deutschen Filmfestivals zum Jury-Präsidenten ernannt hat. Beides hat Verhoeven nicht immer Glück gebracht in seiner wechselhaften Karriere. Vor allem seine Weigerungen zu klaren (moralischen) Bekenntnissen haben ihm viele Anfeindungen eingebracht, die satirischen Momente seiner Arbeiten wurden dabei oft übersehen. Vom Beginn seiner Karriere in den frühen 70er Jahren in den Niederlanden war das Kino von Paul Verhoeven geprägt von einer grotesken, aber nicht wirklichkeitsfernen Verquickung von Sex und Gewalt. Man denke an seine erste Hollywoodproduktion, das Mittelalterdrama „Flesh and Blood“, in dem nicht nur eine üble Vergewaltigung, sondern auch eine Liebesszene zwischen zwei halb vergammelten Leichen am Galgenbaum Leben und Tod sowie Liebe und Gewalt näher aneinander rückten, als man möchte. Es folgten SF-Actionkracher wie „RoboCop“, „Total Recall“ oder „Starship Troopers“, dessen antifaschistischer Ton ebenfalls übersehen wurde. Dazwischen gab es zivilere Sex & Crime-Szenarien, die mal großen Erfolg hatten („Basic Instinct“), mal sensationell floppten („Showgirls“). In seinem ersten französischsprachigen Film „Elle“ bringt er nun Sex und Gewalt auf den scheinbar naheliegendsten Ebenen zusammen: Vergewaltigung und Sadomasochismus. Das ist mal wieder äußerst verwegen, weil das eine mit dem anderen ja eigentlich nichts zu tun hat.
Michèle, die alleine lebende Chefin einer Games-Firma wird von einem Unbekannten in ihrem Haus überfallen und vergewaltigt. Danach nimmt sie ein Bad und trinkt Rotwein. Diese äußerst ungewöhnliche Reaktion setzt sich in den nächsten Tagen fort: Sie geht zwar zum Arzt und lässt sich untersuchen, geht aber nicht zur Polizei. Erst Tage später erzählt sie ganz nebenbei Freunden von der Tat. Die sind im Gegensatz zu ihr höchst schockiert. Aber Michèles Reaktion passt zu der Art, wie sie sonst durch‘s Leben geht: Ihre Gefühle hat sie unter Kontrolle, Abhängigkeiten lässt sie nicht zu, die Fehler anderer attackiert sie ohne Zögern. Ein traumatisches Schicksal steht hinter dieser Haltung, die bis in ihre Kindheit zurückreicht, als ihr Vater zum religiös fanatischen Massenmörder wurde. Die Mischung aus Verletztheit und Härte bricht sich in eine neue Richtung Bahn, als der Vergewaltiger mit unheimlichen Nachrichten erneut Kontakt zu ihr aufnimmt. Es beginnt ein gefährliches Spiel zwischen Michèle und dem Täter.
Auf eine merkwürdige Art erscheint Michèle wie die düstere Variante von Isabelle Hupperts Figur Nathalie in Mia Hansen-Løves „Alles was kommt“, der im Sommer in den Kinos lief und eine ebenso emanzipierte und leicht kühle Frauenfigur zeigte. Verhoevens Film scheint im Gegensatz zu Hansen-Løves wie ein Schlag ins Gesicht des Feminismus. Tatsächlich ist seine Variante eines Rape-and-Revenge-Films aber faszinierend ambivalent und niemals voyeuristisch.
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