Kommissar Bellamy
Frankreich 2009, Laufzeit: 110 Min.
Regie: Claude Chabrol
Darsteller: Gérard Depardieu, Jacques Gamblin, Clovis Cornillac, Vahina Giocante, Marie Bunel, Marie Matheron, Adrienne Pauly, Maxence Aubenas, Yves Verhoeven
Ein verwirrter Fremder gesteht einen Mord. Kommissar Bellamy (Gérard Depardieu) nimmt sich des Falles an und entdeckt: Das Geständnis wartet mit allerhand Überraschungen auf.
Er hat seine Memoiren veröffentlicht, hat dem Alkohol abgeschworen, und er hat eine attraktive Frau (Marie Bunel) an seiner Seite: Kommissar Paul Bellamy könnte eigentlich seinen Lebensabend genießen. Als er genüsslich routiniert die alljährlichen Sommerferien im Haus der Schwiegereltern verbringt, reißt ihn ein Fremder voller Schuldgefühle (leicht übereifrig: Jacques Gamblin) aus der heimeligen Zufriedenheit: Der Unbekannte behauptet, für einen Versicherungsbetrug einen Obdachlosen an seiner Statt getötet zu haben. Der Fall weckt Bellamys Spürnase – wirklich koscher scheint das Geständnis nicht zu sein. Der wirkliche Konflikt nähert sich allerdings in Gestalt von Bellamys jüngerem Halbbruder Jacques (Clovis Cornillac). Der impulsive Trinker und Loser taucht in der Ferienidylle auf und fördert eine alte Familienfehde zutage. Langeweile kommt also nicht auf im sommerlichen Nîmes.
Der „späte“ Chabrol wirkte in den letzten Jahren etwas eingeschlafen. Zu verlässlich schienen seine Filme, das boshaft-blutige Treiben der Bourgeoisie hatte sich in der Endlosschleife festgefahren. Mit seinem „Kommissar Bellamy“ kommt frischer Wind ins späte Schaffen des Regie-Altmeisters: Der dreht hier nämlich erstmals mit Gérard Depardieu zusammen und hat dem schwergewichtigen, französischen Urgestein die Titelrolle auf den Leib geschrieben. Sein Film folgt konsequent der Perspektive des Kommissars, den Depardieu gut aufgelegt spielt. Ein schlagfertiger Genießer, der nach dem Credo lebt: „Ein guter Polizist ist ein guter Samariter“ – Bellamy nähert sich Verbrechern einfühlsam wie ein Maigret. Zugleich gibt er sich väterlich und unscheinbar wie einst Columbo. Der Vergleich zum Fernsehen drängt sich auch inszenatorisch auf: Bewusst unspektakuläre, alltäglich angelegte Bilder, die die Sicht des Kommissars zeigen. Die privaten, amüsanten Schlagabtausche mit der Gattin und der familiäre Zwist mit seinem Halbbruder, der zunehmend Raum einnimmt, rücken den neuesten Chabrol durchaus in Richtung TV-Format. Und trotzdem ist Chabrols Krimi kinowürdig. Allein Gérard Depardieus Präsenz würde jeden Bildschirm sprengen, die atmosphärische musikalische Untermalung zitiert cineastische Vorbilder der 70er und weiß den kniffligen Plot stimmungsvoll zu ummanteln. Die Suche nach dem Sein im Schein gipfelt in einer schon surreal anmutenden Gerichtsszene, und der Fall wartet mit einem Ende auf, das wundersam rätselhaft bleibt. Ein unorthodoxes Genrestück, das als Fernsehserie funktionieren würde, das aber ein Chabrolsches Leinwand-Unikat bleibt, mit dem der alte Meister zeigt: Ich kann auch noch anders.
(Hartmut Ernst)
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