Paradies: Liebe
A/D/F 2012, Laufzeit: 120 Min., FSK 16
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Mwarua, Carlos Mkutano
>> www.paradies-trilogie.de/
Blick in den Tauschhandel der Gefühle
Gekauftes Glück
„Paradies: Liebe“ von Ulrich Seidl
Ulrich Seidl ist seit 20 Jahren bekannt für seinen ungeschönten Blick in die Abgründe der Gesellschaft. Und er ist bekannt für seine irritierende Mischung von dokumentarischen und fiktionalen Elementen, die sich unter anderem in einem Cast aus professionellen Schauspielern und Laiendarstellern niederschlägt. So auch im Auftakt zu Seidls Paradies-Trilogie: Theresa (Margarethe Tiesel) sehnt sich nach Liebe und Zuneigung. In Afrika, so hofft sie, können sich ihre Wünsche erfüllen. Dort gibt es junge Schwarze, die sich vollschlanken weißen Frauen mittleren Alters, sogenannten Sugarmamas, hingeben. Dass dies kaum Liebe ist, sondern nur eine subtilere Form von Sextourismus, erkennt Theresa nur langsam und schmerzhaft. Seidl beleuchtet das Phänomen von vielen Seiten. Er baut über Laiendarsteller und Handkamera Vitalität und Realität ein und schreckt vor expliziten Bildern nicht zurück. Er zeigt, was man bei dem Thema zeigen muss – ohne falsche Zurückhaltung und Scham.
Wir sehen nach einer kurzen Einführung, wie Theresa in ihrem Ferienparadies ankommt und dort auf die resolute Inge (Inge Muax) trifft. Die kennt sich beim Thema Liebesdienst bestens aus und spart in ihren schwärmerischen Erzählungen weder an Details noch an gängigem Rassismus. Aber sie kennt das Spiel: Sie spendiert ihrem jungen Liebhaber ein Motorrad, der revanchiert sich mit körperlicher Zuwendung. Theresa hingegen versteht das Spiel nicht, weil sie es nicht verstehen will. Sie sehnt sich so sehr nach echter, aufrichtiger Zuneigung, dass sie alles glaubt, was man ihr für Geld vorspielt. Für Theresa beginnt jenseits der sicheren Ordnung ihres Hotelgeländes eine Irrfahrt durch die staubigen Wohngegenden ihrer Liebhaber. Die Verwirrung beginnt gleich am Strand, denn sobald sie die Absperrung überschreitet und das sichere Terrain der Hotelanlage verlässt, stürzen sich die sogenannten Beach Boys auf sie. Die wollen ihr Schmuck verkaufen, viel lieber noch bieten sie sich aber als Liebhaber an. Theresa gerät an Gabriel, verbringt einen schönen Tag mit ihm und landet dann im Stundenhotel. Das ist ihr zu wenig Gefühl. Dann lernt sie Munga kennen, der sich mehr um ihre Gefühle zu kümmern scheint. Doch dann braucht er Geld für ein angeblich krankes Familienmitglied, und schon offenbart sich die Beziehung als Geschäft. Mit jeder Ernüchterung wird Theresa mehr enttäuscht, zugleich wird sie auch herrischer. Die Kundin ist schließlich Königin. Aber eigentlich möchte sie ja gar nicht Kundin sein, sondern Geliebte.
Die Kamera verfolgt ihre Suche mit unruhiger Hand und platziert sich mitten im afrikanischen Alltag, dessen Bedeutungsebenen zu entschlüsseln nicht nur Theresa, sondern auch dem Zuschauer schwerfällt. Im Kontrast dazu stehen die klaren, ruhigen Bilder aus dem Ressort, die die Verhältnisse sezieren. Im März kommt bereits „Paradies: Glaube“ ins Kino, der zweite Teil der Trilogie um die Schwester von Theresa, im Mai folgt mit „Paradies: Hoffnung“ der dritte Teil um Theresas Tochter.
(Christian Meyer)
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Kölner Filmpalast – Foyer 04/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
„Man kann Stellas Wandel gut nachvollziehen“
Jannis Niewöhner über „Stella. Ein Leben.“ – Roter Teppich 02/24
Emilia Pérez
Start: 28.11.2024
The Outrun
Start: 5.12.2024
Here
Start: 12.12.2024
All We Imagine As Light
Start: 19.12.2024
Freud – Jenseits des Glaubens
Start: 19.12.2024
Die Saat des heiligen Feigenbaums
Start: 26.12.2024
Nosferatu – Der Untote
Start: 2.1.2025