The Substance
USA 2024, Laufzeit: 140 Min., FSK 16
Regie: Coralie Fargeat
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
>> mubi.com/de/substance
Grenzüberschreitende feministische „Body Horror“-Groteske
Ich gegen Ich und die Wirklichkeit
„The Substance“ von Coralie Fargeat
Dies schnell vorweg, als eine Art Triggerwarnung: „The Substance“ von Coralie Fargeat ist eine Attacke auf den weiblichen Körper, die ihresgleichen sucht. Nein, falsch … nochmal neu: „The Substance“ zeigt die permanente Attacke auf den weiblichen Körper in der Welt des Films auf eine Art, die ihresgleichen sucht. So in etwa … Die bisherige Karriere der Hollywoodschauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) zeigt Coralie Fargeat in ihrem zweiten Film in einer einzigen Einstellung als Vorspann: In einem sogenannten Top Shot, gefilmt senkrecht nach unten, sehen wir in engem Bildausschnitt, wie Arbeiter für Elisabeth Sparkle einen neuen Stern in den berühmten „Walk of Fame“ einfügen. Es folgt die glamouröse Einweihungszeremonie. Dann sehen wir – immer noch in derselben Einstellung – den Alltag der nächsten Jahre und Jahrzehnte: Menschen laufen über den Stern, Müll landet dort, einmal auch die Reste von Fastfood, die eine Kehrmaschine wieder entsorgt. Laub fällt auf den Stern und schließlich zeigen sich erste Kratzer und Risse – der Stern bröckelt ebenso wie Elisabeth Sparkles Filmkarriere. Schnitt: Elisabeth hat sich ganz gut als Host in eine erfolgreiche Aerobic-Show retten können. Doch ihr Produzent Harvey (Dennis Quaid) will sie durch eine Jüngere austauschen. Denn „mit 50 ist es aus!“
Da erhält Elisabeth ein geheimnisvolles Angebot, wie sie sich verjüngen könnte. Sie zögert nicht lange. Nach einer Injektion spaltet sich ein zweites, jüngeres und in jeder Hinsicht perfekteres Ich von ihr ab. Nun kann sie jeweils eine Woche als die junge „Sue“ (Margaret Qualley), als die sie sich ausgibt, leben, während ihr altes Ich mit Flüssignahrung versorgt in einer dunklen Kammer ruht. In der folgenden Woche ruht dann Sue, und Elisabeth lebt ihr gewohntes, im Vergleich recht frustrierendes Leben. Das ergibt schnell mehr als terminliche Probleme, denn Sue wird mit ihrem umwerfend schönen, jungen Körper sogleich als Nachfolgerin von Elisabeth gecastet. Bald melden sich auch Neid und Narzissmus zwischen den beiden Ichs. Doch eines hat man Elisabeth eingetrichtert: Sie darf auf keinen Fall die Balance zwischen ihren beiden Ichs gefährden und muss den Zweiwochenrhythmus penibel einhalten. „Sue“ sieht das bald anders ...
Der zweite Film der französischen Regisseurin Coralie Fargeat, für den sie in Cannes mit dem Drehbuch-Preis ausgezeichnet wurde, beginnt ebenso stylisch wie ihr Debüt „Revenge“, in dem sie sich mit dem „Exploitation“-Genre „Rape and Revenge“ auf feministische Art auseinandersetzte, indem – das zeigt schon der Titel – sie die Betonung deutlich auf Letzteres legt und diese Rache genüsslich und fantasievoll und vor allem blutig ausformuliert. Blut gibt es im Finale von „The Substance“ mehr als genug, plus eine Extraportion Irrsinn, Verstörung und Grenzüberschreitung. Und Humor ... Damit steht Coralie Fargeat in der Tradition eines Cinema of Transgression – eines Kinos der Überschreitung – wie sich eine New Yorker Underground-Bewegung Mitte der 80er Jahre nannte, die wiederum in der Tradition des frühen John Waters stand. Dabei geht es um eine Attacke auf das Publikum auf allen Ebenen des Films. Fargeats Leinwandattacke unterscheidet sich aber dadurch, dass es fast keine Gewalt gibt – zumindest keine körperliche. Damit steht sie auch dem „Body Horror“ eines David Cronenberg sehr nah. Wie bei Cronenberg wird der Körper nicht durch gewalttätige Fremdeinwirkung zerstört, sondern von innen heraus. Das geschieht in „The Substance“ ähnlich fantasievoll-irrwitzig wie zuletzt in „Titane“ von Fargeats Regie-Kollegin Julia Ducournau, ebenfalls Französin und 2021 mit ihrem Film Gewinnerin der Goldenen Palme in Cannes. Beides sind Filme, die mit einer effektiven, radikalen Bildsprache auf die Gewalt reagieren, der (weibliche) Körper in der Gesellschaft ausgesetzt sind. In „The Substance“ kommt noch eine überaffirmative Verwendung des Male Gaze – des „männlichen Blicks“ – hinzu, der in den Aerobic-Szenen bis zur Absurdität übersteuert ist. Doch das alles funktioniert nicht zuletzt durch eine unerschrockene Darbietung von Demi Moore so gut.
(Christian Meyer-Pröpstl)
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