Über die Unendlichkeit
Schweden, Deutschland, Norwegen 2019, Laufzeit: 76 Min., FSK 12
Regie: Roy Andersson
Darsteller: Martin Serner, Tatiana Delaunay, Anders Hellström
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Tragikomisches Mosaik über die Menschlichkeit
Das Leben geht weiter
„Über die Unendlichkeit“ von Roy Andersson
Am Anfang: Schwarz. Aus dem Off eine Arie. Ein Paar schwebt heran in den Wolken. Dann erscheinen Punkte auf der Leinwand und bilden den Titel: „Über die Unendlichkeit“. Dann zeigt die statische Kamera ein Paar auf einer Bank mit Blick auf die Stadt, ein Schwarm Wildgänse fliegt vorbei. Nächstes Bild. Eine andere Szene. Wir begegnen Menschen, nur wenigen davon begegnen wir wieder. Allen voran einem Priester, der seinen Glauben an Gott verloren hat, der in wiederkehrenden Albträumen, ein schweres Kreuz auf der Schulter, vom Volk unbarmherzig durch die Gasse getrieben wird. Wir sehen blasse Menschen in trostlosen Interieurs. Nur selten reißt der Himmel auf. Die Welt als Bühne. Der starre Ausschnitt, das Treiben darin streng arrangiert und choreografiert. Willkommen bei Roy Andersson.
„Das Leben ist eine Tragödie“, sagt der schwedische Filmemacher. Doch das Leben geht weiter. Tragödie und Zuversicht versteht Andersson wundersam gleichberechtigt einzufangen. Mitunter in einem einzigen Bild, wenn das anfangs erwähnte Paar anmutig über dem vom Weltkrieg zerbombten Köln schwebt. Um das Schöne zu zeigen, muss man Gegensätze schaffen, sagt Andersson. Mit „Über die Unendlichkeit“ bleibt er der streng stilisierten, assoziativen Inszenierung seiner letzten drei Werke treu, die er 2000 mit „Songs from the Second Floor“ begann und im Abstand von je sieben Jahren auf die Leinwand warf. Trostlose Grotesken, durchbrochen von magischen, erhabenen Lichtblicken. Seine Themen: der Mensch, der Krieg, der Glaube, die Einsamkeit – und überhaupt. Die Menschen, die er ins Bild rückt, wirken verloren, gebrochen, enttäuscht. Sie suchen Geborgenheit und zeigen wenig Empathie, meiden den verbalen Austausch, verkörpern, streng gerahmt, leblose Stillleben. Szenen und Posen, die, wie die Punkte, die den Titel bilden, einen Film formen. Andersson ist inspiriert von der Kunst der neuen Sachlichkeit aus den 20er Jahren. Von Otto Dix. Vom schwedischen Funktionalismus der 50er. Inspiriert durch Scheherazade aus „Tausendundeine Nacht“, verwendet er erstmals eine Erzählerin, die uns sagt, was sie sieht – was wir sehen.
Alles zeigen: Unmenschlichkeit, Liebe, Hochmut, Fall, Menschlichkeit, drapiert in einem streng gezeichneten, szenischen Kaleidoskop, das uns herausfordert und belohnt. Anderssons letzter Film „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ liegt nur fünf Jahre zurück. Und vielleicht hätte er sich für sein neuestes Drama auch besser wieder sieben Jahre Zeit gelassen, denn es wirkt weniger gereift. Vielleicht ist es die Erzählerin, die unser individuelles Assoziieren ein Stück bevormundet. Der schrullige Humor, der ansonsten wie der aufreißende Himmel für Lichtblicke sorgt, kommt etwas kürzer. Und die Tonalität gestaltet sich insgesamt eher verloren als melancholisch. Zugleich bleibt Andersson auch mit seinem neusten Werk einzigartig, formvollendet, erhaben und sehenswert. Entführt und inspiriert durch seinen Kosmos der Details und Gegensätze. Durch eine seltsame Parallelwelt, die trostlos wirkt – und hoffnungsvoll bleibt. Ein echter Andersson.
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