West Side Story
USA 2021, Laufzeit: 156 Min., FSK 12
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Rachel Zegler, Ansel Elgort, Ariana DeBose
>> www.westsidestory-film.de/
Mitreißende Neuverfilmung
Schnipp, schnipp, schnipp
„West Side Story“ von Steven Spielberg
Es ist tatsächlich schon sechzig Jahre her, dass Robert Wise und Jerome Robbins das Broadwaymusical „West Side Story“ verfilmten und in der Folge dafür zehn Oscars abräumten. Jetzt inszeniert Steven Spielberg das Jahrhundertwerk (Buch: Arthur Laurents, Musik: Leonard Bernstein, Liedtexte: Stephen Sondheim) neu. Die Handlung bleibt weitestgehend dem Original verpflichtet und in gleicher Zeit und gleichem Ort angesiedelt, nur der Blick aufs Geschehen ist nuanciert ein anderer – denn es ist unser Blick, der das New York von heute kennt und weiß, was sich geändert hat seitdem, und vor allem: was nicht.
Die 1950er Jahre, Romeo und Julia in New York: Zwei Straßenbanden, die Jets und die Sharks, kämpfen ums Revier. Aus beiden Reihen entspringt ein Liebespaar, das darf nicht sein und endet tragisch. Migration, Herkunft, Heimat, der Traum vom amerikanischen Traum, Revierstreit, Hahnenkampf, Liebe, Hass und Rachsucht – die Themen sind heute so aktuell wie damals, und der Mensch, er menschelt, das war vor Shakespeare so, und das ist nach Shakespeare so.
Die Erstverfilmung bleibt unerreicht, aber auch Steven Spielberg serviert ein Fest für Herz und Sinne, das feudal die Leinwand sprengt! Kulissen und Kostüme sind erwartungsgemäß opulent, und alles andere ist ja schon da: Die berührende Geschichte, die mitreißenden Choreographien, die unvergesslichen Lieder. Vom ersten Fingerschnippsen bis zum letzten Atemzug bereitet auch dieses zweieinhalbstündige Remake Sogwirkung. Spielberg braucht eigentlich bloß auf der Welle der Vorlage schwimmen, und tatsächlich erkennt man nicht wirklich seine Handschrift – er macht eben bloß einfach alles richtig. Richtig gut.
Die Darsteller überzeugen, angefangen mit den Rudelführern Riff (Mike Faist) und Bernardo (David Alvarez) bis hin zu Rita Moreno, die schon in der Erstverfilmung mit an Bord war und hier die Betreiberin eines Drugstores spielt. Rachel Zegler als Maria singt einen verlässlich durch die Gänsehautmomente, Ansel Elgort („Baby Driver“) agiert auf Augenhöhe – bzw. eigentlich nicht, denn der Kerl ist locker zwei Köpfe größer als seine Liebste. Das wird mal durch Treppenstufe oder Leitersprosse überwunden, es wird auch gern mal damit kokettiert, bei mancher Choreographie aber steht Elgort durchaus die eigene Körpergröße im Weg. Doch darüber kann man, oder zumindest Elgort, hinwegsehen.
Nachdem der nicht eben musicalaffine Rezensent zuletzt bei „Ich war noch niemals in New York“ gelernt hatte, dass das Musical als Fluchtblase eine Legitimierung findet, nimmt er in diesem New York-Drama mit, dass ein Musical weit mehr sein kann. Er wundert sich inzwischen nicht mehr jedes Mal darüber, dass die Menschen auf der Leinwand unvermittelt damit anfangen, zu singen und zu tanzen. Er erlebt in „West Side Story“, wie Gesang und Tanz das Menschliche nach außen kehren. Wie das Musical nicht bloß eine Flucht aus dem Alltag darstellt, sondern abstrakt das Leben spiegelt. Das Leben, festgehalten in der Choreographie – und genau das macht doch nicht nur Musicals, sondern das Kino grundsätzlich aus. „West Side Story“ – Lektion Nr. 2 einer Annäherung. Wir bleiben dran.
Der Rezensent muss noch grundsätzlich einwenden, dass ihm der Bruch im letzten Drittel dieses Werkes schon immer zu schaffen gemacht hat, in dem sich von einem Moment zum nächsten jegliche Leichtigkeit verabschiedet, wo das Opus vom leichthändigen Märchen mit gesellschaftskritischen Unterbau zum Melodram, vom lausbubenhaften, in Dickensromantik gegossenen Gossenstück zur Tragödie wechselt. Und vielleicht ist der Bruch bei unserem geschätzten Märchenonkel Steven Spielberg sogar noch ein Stück größer, weil er die anfängliche Leichtigkeit so gut abzufeiern vermag. Ein Bruch, den keine letzte Einstellung wirklich auffangen kann, auch wenn sie, wie hier, elegant inszeniert ist. Aber das hat schon damals niemanden gestört, und das stört auch jetzt keinen. Und den Rezensenten auch nicht wirklich, denn diese Musicalverfilmung, allem voran die Euphorie der Choreographie, hat ihn diesmal voll erwischt.
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