Dass sämtliche Produktionen einer Choreographin den gleichen Titel tragen, gibt es nicht alle Tage. Seit 2009 präsentiert Julia Riera die Arbeiten ihres Ensembles unter dem Label MIRA. 2017 erhielt sie für „MIRA 7_Thuley“ den Kölner Tanztheaterpreis, inzwischen steht MIRA 11 an. Gegründet hat Julia Riera ihre Kompanie mit der Amerikanerin Emily Welther und Sonia Franken, deren familiäre Wurzeln nach Italien weisen. Im Italienischen heißt Mira „die Sicht“ und im Spanischen, das den familiären Hintergrund von Julia Riera bildet, heißt Mira „schau her“. Tatsächlich springen die Arbeiten dieser Choreographin ins Auge, schon allein, weil sie konsequent interdisziplinär entwickelt werden. Hier reiht man nicht ein Medium an das andere, vielmehr erhalten die Produktionen ihre Seele aus der Inspiration, die zwischen Visualität, Bewegung und Musik entsteht. So konstruierte Philipp Mancarella – der Sound-Designer der Truppe – etwa ein System von Sensoren, mit dem die Tanzenden selbst den Einsatz der Musik bestimmen konnten.
Derzeit erforscht Julia Riera die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Zwar schränkt sie ein, dass ihr „dieses Sujet nicht direkt auf den Tisch gesprungen“ sei, weil sie sich ansonsten eher für „menschliche Themen und gesellschaftlichen Phänomene“ interessiere. Aber es verlockte sie die Frage:„Kann KI Kunst?“ In Zusammenarbeit mit einer Hochschule aus Sachsen-Anhalt speiste man Material alter Tanzstücke in den Rechner ein. Die individuellen Spuren der Tänzerinnen und Tänzer wurden im Laufe dieses Vorgangs verschluckt. Woher ein Bewegungsvorschlag kommt, lässt sich in der Animation nicht mehr erkennen, so dass der Reiz der Ergebnisse in nie gesehenen Bewegungen besteht. Julia Riera präsentierte jedem ihrer Ensemblemitglieder die Resultate, und „alle haben etwas anderes daraus gemacht“, erklärt sie immer noch mit Erstaunen in der Stimme.
Inspirierend wirkt aber nicht allein die Suche nach neuen Tanzbewegungen, sondern zugleich die Erkenntnis, „dass so viele Informationen eingespeist werden, und wir ihrer Herkunft nicht mehr folgen können.“ Julia Riera verweist auf die Frage, was die unkontrollierbar arbeitenden Algorithmen für uns als Gesellschaft bedeuten. Die Proben des neuen Stücks kommen gut voran, im Frühjahr wird die Premiere im Ringlockschuppen in Mülheim über die Bühne gehen. Dann steht eine Tour durch NRW mit Köln, Krefeld und Bonn an.
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