„Wenn auch jeder der Akkorde seinem Nachbarn verwandt und verbunden ist, hat doch jeder ein anderes Gewicht, und der Unterschied beträgt nicht mehr als eine Feder.“ So beschreibt Gerald Moore, Legende unter den Pianisten, die sich auf die hohe Kunst der Liedbegleitung spezialisiert haben, seine Feinjustierung der Dynamik bei der Gestaltung eines Schubertliedes. „Bin ich zu laut?“, so heißt der Titel seiner Autobiografie, als sei die Grobjustierung die Urangst eines Klavierbegleiters. Gerald Moore hatte die berühmtesten Partner neben seinem Flügel, Furien wie „Die Schwarzkopf“ und fanatische Liedtüftler wie den Hohepriester des Schubertliedes, Dietrich Fischer-Dieskau. Diese legten nicht nur jeden Konsonanten und jede Vokalfärbung der deutschen Sprache auf die Goldwaage, auch jeder einzelne Klavierton wurde mehrfach im Ohr gedreht und begutachtet. Dabei rückte der Pianist, der zuvor gern in die zweite Reihe als Backgroundplayer abgeschoben wurde, mit Moore erstmals deutlich auf Augenhöhe zu den Sängerinnen und Sängern.
Das Klavierfestival Ruhr in seiner dezentralen Ruhelosigkeit versorgt die Region dankenswerterweise nicht nur wie im Aprilkonzert des chinesischen Sympathieträgers Lang Lang mit den Superstars der flinken Tasten, sondern präsentiert das Klavier in verschiedenen Stilen, in allen Zeiten und in vielen Kombinationen. Eine Königsdisziplin für Spielkultur am Klavier heißt dank Moores Emanzipationsarbeit heute Liederabend. Gleich dreimal stellen sich Konzertabende auf Schloss Herten in den Dienst des aktuellen Festival-Schwerpunkts „Johannes Brahms“. Das spätgotische Wasserschloss ruht in einem alten englischen Garten.
Als Stammgast des Klavierfestivals lud die nunmehr lebende Legende unter den Klavierbegleitern, der Engländer Graham Johnson, bereits mehr als vierzig Mal zu Abenden in diese noble Spielstätte. Und er bringt junge Sänger mit von der Insel, die ja in ihrer großen Chortradition auch immer wieder fantastische Liedinterpreten für die intime Kammermusik hervorbringen. Die Sopranistin Anna Huntley stammt aus England, der lyrische Tenor Robin Tritschler kommt aus Irland. Und Jonathan Lemalu aus Neuseeland vertritt das Bassfach. Für die deutsche Stimmkultur bürgt die wunderbare Mojca Erdmann und komplettiert am zweiten Abend den Quartettsatz, um die beliebten Liedesliederwalzer von Brahms aufzuführen. Es wird also einiges aufgeboten, um alle Facetten auszuleuchten. Für die Walzer wird sogar ein weiterer Pianist ins Rennen geschickt, denn bei aller Güte des schlechthin berühmtesten Liedbegleiter unserer Tage: Vierhändig kann auch Graham Johnson nicht spielen.
Klavier-Festival Ruhr
Johannes Brahms: Lieder | Mi 4.5., Do 5.5., Fr 6.5. 20 Uhr | Schloss Herten | www.klavierfestival.de
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