Adorno und die Frankfurter Schule sind schuld, dass die meisten Menschen die Nase rümpfen, wenn sie auf Schlagerfilme angesprochen werden. Denn die Philosophen und Soziologen disqualifizierten in den 60er Jahren zunächst einmal den Schlager als U-Musik, die es nicht mit der klassischen, der E-Musik aufnehmen konnte. Dass ein Schlagerfilm, der seinem Publikum eine ganze Palette an U-Musik vorführte, nichts Anspruchsvolles sein konnte, lag deswegen schnell auf der Hand. Bisher gab es wohl auch aus diesem Grund noch keine ernsthafte Auseinandersetzung mit einer filmischen Strömung, die das bundesdeutsche Nachkriegskino über Jahrzehnte beeinflusste und dominierte. Lediglich der passionierte Filmfan Manfred Hobsch hatte es sich 1998 zur Aufgabe gemacht, mit „Liebe, Tanz und 1000 Schlagerfilme. Ein illustriertes Lexikon – mit allen Kinohits des deutschen Schlagerfilms von 1930 bis heute“ ein umfassendes Kompendium zu erstellen, das die unzähligen Exemplare dieser Gattung katalogisierte, Strömungen aufzeigte und die Stars des Genres vorstellte.
Dabei fällt es Daniela Schulz schwer, beim Schlagerfilm überhaupt von einem Genre zu sprechen, da es sich in den Augen der Autorin von „Wenn die Musik spielt… - Der deutsche Schlagerfilm der 1950er bis 1970er Jahre“ dabei viel eher um ein „musikalisches Gemischtwarenkino“ handelt. Wenn die überaus erfolgreichen filmischen Vehikel für Publikumslieblinge und Schlagerstars wie Caterina Valente, Freddy Quinn, Peter Alexander oder Roy Black wissenschaftlich behandelt wurden, dann fast ausnahmslos als Ableger des Heimatfilms, der gleichermaßen trivialisiert und seiner Bedeutung enthoben wurde. Daniela Schulz wollte mit ihrer Abhandlung den Schlagerfilm von diesen Vorwürfen reinwaschen und seine Stellung über mehrere Jahrzehnte hinweg aufarbeiten. Dabei geht die Autorin zunächst auf die Ursprünge in der Operette ein und beleuchtet kurz die entsprechenden Werke der 30er Jahre und deren mediale Wechselwirkung aus Bühne, Film, Schallplatte und Roman. Die Intermedialität, die sich schon in dieser frühen Phase nicht von der Hand weisen lässt, wird auch in der Nachkriegszeit ein wichtiges Charakteristikum des Schlagerfilms darstellen. Schulz macht deutlich, dass sich das Wort „Schlager“ von einem reinen Erfolgsbegriff zu einer Genrebezeichnung weiterentwickelt hat und schließlich immer mehr kommerzielle Überlegungen mit hineinspielten. Deswegen war es mit dem Aufkommen des Fernsehens in den 50er Jahren nur logisch, dass man die Stars des Mediums auch anderweitig vermarktete, dass man Schlagersingles nicht nur im Radio spielte, sondern auch im Fernsehen vorstellte und mitunter sogar in die Handlung eines Kinofilms integrierte. Eine weitere Tendenz, die Schulz in ihrem Buch herausarbeitet, ist die Entwicklung zu immer mehr „Attraktionen“, die im Laufe der Jahre zu immer dünneren Handlungskonstrukten im Schlagerfilm führten, da es immer mehr Schlager zu integrieren galt.
Schlagerfilme wurden in jener Zeit letztendlich zu Hitparaden fürs Kino, auch das ein Prozess, der mit dem Aufkommen der ersten Musik-Charts in Deutschland einhergeht. Einen gleichermaßen starken Einfluss sieht Daniela Schulz in den ebenfalls in den 50er Jahren populär werdenden Schlagerfestspielen (von denen der Grand Prix Eurovision de la Chanson, der heutige Eurovision Song Contest zweifellos der bekannteste Vertreter ist), die neue Schlagerstars hervorbrachten, die es dann intermedial zu vermarkten galt. Auf diese Weise haben Filme wie „Cafe Oriental“, „Musik, Musik, da wackelt die Penne“ oder „Rote Lippen soll man küssen“ Mediengeschichte geschrieben, die man auch heute noch in schöner Regelmäßigkeit konsumieren kann – immerhin zeichnen sich Schlagerfilme in ihrer ständigen TV- und DVD-Präsenz nach wie durch eine ungebrochen große Aktualität aus. Entgegen gängiger Meinungen sind sie keinesfalls rückwärtsgewandt, sondern im Gegensatz zu vielen anderen Beispielen des Nachkriegskinos durchaus modern, da sie personelle Vernetzungen vorangetrieben und sich auf aktuelle Erfolgsstrategien bezogen haben. Neben all diesen grundlegenden Theorien geht Schulz in ihrer Abhandlung u.a. auch auf die Gestaltung der Vorspannsequenzen der Schlagerfilme ein und widmet sich dem Trend, Sportler zu Filmstars und Schlagersängern zu machen. Zahlreiche Themenkomplexe, die von Schulz in diesem Werk angesprochen werden, bieten das Potenzial für vertiefende Forschungen. „Wenn die Musik spielt“ ist somit weder eine triviale noch eine leichte Lektüre, sondern eine ambitionierte und vielschichtige Auseinandersetzung mit einer filmischen Strömung, die bis ins 21. Jahrhundert nachwirkt.
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