„Oh, mein Gott“, trällern Margot, Serena, Pilar und Kate verzückt, als die Vorsitzende ihrer Studentinnen-Vereinigung „Delta Nu“, Elle Woods, im gemeinsam ausgesuchten Verlobungskleid aus der Kabine tritt. Und diese Verzückung überträgt sich sofort aufs Publikum, weil Janina Kleinloh, ihrer in Pink und Warner Huntington III verliebten Blondine aus dem Reichen-Biotop Malibu vom ersten Moment an eine Bühnenpräsenz verleiht, die einen das ganze Feelgood-Musical über bei der Stange hält.
Aber zuerst bekommt die gute Laune einen Dämpfer, weil Warner sie mit einem suboptimalen Love-Song abblitzen lässt: „Zeit für was Ernsteres“. Doch blond ist nicht gleich dumm – und so macht sich Elle auf den Weg nach Harvard, um dort wie Warner Jura zu studieren und ihn von seiner neuen, standesgemäßeren Flamme Vivienne zurückzuerobern.
Durch die Hilfe des in sie verliebten Kommilitonen Emmett landet sie im begehrten Team von Professor Callahan, überführt mit ihrer Kombinationsgabe einen Mörder, emanzipiert sich happyendlich von Warner und dem übergriffig werdenden Callahan und findet in Vivienne und der Friseurin Paulette neue Freunde.
Hat man erst einmal denpseudo-feministischen Touchder nurin einigen Details hintersinnigen Komödie mit ihren Seitenhieben auf die überkandidelte Beverly-Hills-Gesellschaft und die ebenso versnobte Elite-Uni-Community geschluckt, dann kann man sich mit Vergnügen auf das von Laurence O‘Keefe (Musik), Neil Benjamin (Gesangstexte) und Heather Hach (Buch) geschriebene Musical einlassen. Denn hier gilt, wie bei vielen „leichtgewichtigen“ Beispielen des Genres: Nicht das Was, sondern das Wie ist entscheidend. So bestaunt man das innovative Bühnenbild von Christian Simon, das die ersten Szenen hinter den scherenschnittartigen Umrissen von Ellas Schoßhündchen Brutus spielen lässt und ihren „griechischen Begleitchor“ mit modernster Hebebühnentechnik vom Himmel kommen lässt.
Die atmosphärisch dichte Lichtregie (Stefan Rausch) und die farbenfrohen Kostüme (Elfrun Becker) verleihen dem Ganzen dazu den Hauch einer großen Broadway-Show. Dass diese Aufführung der aus Rheinland-Pfalz stammenden „Musical!Kultur Daaden“, die seit 2009 im Apollo-Theater Siegen heimisch geworden ist, so manche Profi-Truppe in den Schatten stellt, liegt vor allem am Engagement der über 200 Musicalbegeisterten, die in allen Gewerken ein Jahr auf diese Premiere hingearbeitet haben: Vom einfühlsam die Töne vonFunk bis Jazz, von Hip-Hop bis Balladen treffenden Orchester (Leitung: Marcus Rink) bis hin zu den bis in die Nebenrollen hinein präzis von Matthias Marschang geführten Darstellern und den selbst anspruchsvolle Schrittfolgen mit Bravour meisternden Tänzern (Choreographie: Elisa Martini). Nur die Tontechnik muss noch ein wenig nachsitzen: Sie findet selten die Balance zwischen Gesang und Orchester, sodass manches unverständlich bleibt. Aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen in diesem „musicalischen“ Freudenbecher.
„Natürlich blond“ | R: Matthias Marschang | keine weiteren Termine | Apollo-Theater Siegen
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