Eine gute Lehrerin stellt manchmal die Weichen für ein ganzes Leben. In den Landschaften des US-Bundesstaats Vermont ist Emily Welther aufgewachsen. Bei aller Naturschönheit fällt das kulturelle Angebot dort eher dürftig aus. Aber es gab diese charismatische Schauspiellehrerin, die ihrer Schülerin riet, zunächst in New York das experimentelle Theater zu studieren und dann zu Beginn des neuen Jahrtausends an den Rhein ins niederländische Arnheim zu wechseln. Dessen Kunsthochschule ArtEZ genießt unter Tänzern einen weltweiten Ruf. Dass Emily Welther die Tochter einer Geigerin ist, mag zudem eine Rolle in ihrem künstlerischen Werdegang gespielt haben. Musik ist immer wieder ein zentraler Bestandteil ihrer Choreographien. Über Düsseldorf führte ihr Weg nach Köln, wo ihr Lebensgefährte, ein Saxophonist und Jazz-Musiker, zuhause war und die Amerikanerin inzwischen zu den Konstanten der Tanzszene gehört.
Sie erinnert sich, wie sie zunächst in Barnes Crossing das Tanzbiotop der Domstadt kennenlernte und bald schon mit Ilona Pászthy, Barbara Fuchs und Silke Z zusammenarbeitete. Sie selbst war dann später eine der Gründerinnen des Mira-Ensembles. „In Köln gehört man eigentlich nicht zu einer Kompanie, sondern tanzt überall“, sagt sie. Und doch gibt es spezielle Talente. Die groß gewachsene, immer ein wenig ernst wirkende Amerikanerin nötigt ihrem Publikum einen besonderen Grad an Konzentration ab. Man spürt sofort, dass eine Konzeption hinter allem steht, was sie tanzt oder choreographiert. Vielleicht liegt das auch daran, dass Emily Welther gerne das Ensemble der menschlichen Sinne entflechtet. So entzieht sie dem Publikum in ihrer Produktion „Headless“ den Blick auf ihr Gesicht. Was verrät uns der Körper über unsere Gefühle, wenn wir den Kopf nicht sehen?
Sinnlich und puristisch zugleich wirken ihre Arbeiten. So spielt sie in ihrer aktuellen Produktion „OHNE time“ mit Akustik, Visualität und taktilen Reizen. Das Stück nimmt ein Urthema des Tanzes in den Blick: die Zeit. In einer Videoeinspielung von Barbara Schröer sieht man, wie sie zwischen zwei Stühlen wechselt, die auf einem Acker stehen. In der Mitte des Bildes ziehen sich die Furchen der Erde scheinbar bis an den Horizont. Selten findet jemand so treffend ein Bild, in dem die Kleinteiligkeit und die Unendlichkeit der Zeit so anschaulich zum Ausdruck kommen. Während ihres Auftritts im Kulturbunker in Köln-Mülheim entschwindet sie dem Publikum immer wieder aus dem Blickfeld, wenn sie einen Raum nach dem anderen bespielt. Die Percussion von Giuseppe Mautone treibt sie an und das Cello von Daniel Brandl verleiht jeder ihrer Gesten eine bedeutungsvolle Dimension. Mit den Bedeutungen der Sprache spielt Emily Welther, wenn sie auf dem Boden ihre Bewegungen aufzeichnet und uns eine Ahnung von einem Raum gibt, der jenseits von Sprache und Grammatik liegt. So nimmt sich die Reife und Entschlossenheit, mit der hier der Körper philosophiert, als Geschenk der Amerikanerin für ihr Publikum aus.
„Ohne Time“ | 5., 6.3. 20 Uhr | Kulturhaus Thealozzi, Bochum | 0234 175 90 | 12., 13.3. 20 Uhr | Barnes Crossing, Köln | je 20 Uhr
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