Heimat war und ist ein wichtiges Thema in der Musik. Die eigenen Wurzeln stehen auch heute in allen Sparten des Musikmarktes hoch im Kurs. Selten wurde allerdings im zwanzigsten Jahrhundert so intensiv recherchiert und archiviert wie in Ungarn, wo mehrfach Komponisten die Ärmel und die Hosen aufkrempelten und zur Feldforschung über die Dörfer zogen.
Was Béla Bartók und Zoltan Kodály, beide Anfang der 1880iger Jahre geboren, bei ihren Reisen mit dem Edison-Phonographen einsammeln konnten, wurde Grundlage der Musikethnologie und beeinflusste den Kompositionsstil dieser beiden exponierten ungarischen Kunstmusiker. Bartók war zudem als Konzertpianist international gefragt und orientierte sich dabei an einem weiteren berühmten Virtuosen, der ungarischen Pianisten-Ikone Franz Liszt. Er porträtierte sein Land u.a. in Ungarischen Rhapsodien. Werke dieser drei ungarischen Urgesteine bilden das sinfonische Gerüst des Konzertes mit den Dortmunder Philharmonikern im Konzerthaus, es dirigiert der amerikanische Maestro John Axelrod.
Dieser wurde als Teenager von Lenny Bernstein für die Musik begeistert und durfte sogar privat bei ihm lernen, z.B. die Weisheit, dass die Instrumente des Dirigenten aus Fleisch und Blut sind und nicht aus Holz und Darmsaiten. „Daher spielen die Orchestermusiker die Instrumente und ich spiele die Musiker. Das ist der Job eines Dirigenten.“ Kernige Sprüche passen zur Vita des Maestros, der in einem anderen Leben auch schon Pop-Musiker-Scout und Manager eines Weinguts war – sichere Alleinstellungsmerkmale.
Ein ganz fantastischer Solist wurde zu diesem Termin zusätzlich eingeladen: Albrecht Mayer, seines Zeichens Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, ist auch sehr von dieser Welt. Er handelt zwar nicht mit Wein, dafür besitzt er eine Grappa-Sammlung. In Köln erzählte er – und wenn es etwas zu sagen gibt, dann sagt dies Albert Mayer – genüsslich die Story, wie der WDR den jungen Oboisten beim Vorspiel so richtig im Regen stehen ließ und nach Hause schickte. Als der WDR später Interesse bekundete, konnte Mayer sagen: „Die Berliner waren einfach schneller!“ Ich glaube, es fiel auch noch das Wort Genugtuung.
Mayer gilt als „König der Oboe“, liegt ähnlich im Rennen wie sein Orchesterkollege Emmanuel Pahud. Dessen exzellente Flötentöne lassen sich aber besser verkaufen als die näselnden Oboenschmankerl. Vielleicht wirkt da auch der bisherige Oboenpapst Heinz Holliger nach, an dem Pop-Allüren – und die gibt es ja in diesem Markt durchaus – rigoros vorbeizogen. Mayer ist nicht nur ein toller Bläser, sondern auch ein echter Typ. Und das Konzert des Ungarn Frigyes Hidas, das er jetzt interpretieren wird, ist ein romantisches Wunderwerk. Im langsamen Satz träumt die Oboe und das vor Glück besoffene Orchester soooo schön – wahrscheinlich von der Heimat.
4. Philharmonisches Konzert – heimat_klänge | 10., 11.1. 20 Uhr | Konzerthaus Dortmund | 0231 50 27 222
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