Über 13 Jahre hinweg war das Studio 11 ein Ort in Köln, an dem man choreografische Entdeckungen von internationalem Format machen konnte. Für Tänzer nicht größer als eine Hutschachtel reizte die Künstler gerade die intime Atmosphäre, in der sich etwa der Amerikaner Jess Curtis und der Brite Angus Balbernie ihre Kindheit erzählten oder Curtis mit der Italienerin Maria Theresa Scaroni in seinem „Symmetry Project 14“ eine Stunde nackt tanzte. Produktionen, die niemand vergisst, der in dem kleinen Raum – in dem man jeden Schweißtropfen auf der Haut beobachten konnte – an der Spannung des künstlerischen Experiments teilhaben durfte.
Diese geballte Intimität muss man nicht immer haben, aber sie stellt Kontakt zu einer Kunst her, die wie keine andere am Körper erlebt werden will. Jetzt schließt Studio 11, das Format bleibt der Tanzwelt aber erhalten. Denn mit den „ehrenfeldstudios“ erhält Kölns ältester Vorort in der Wissmannstraße einen neuen interessanten Tanzort.
Silke Z und Caroline Simon haben das ehemalige Domizil des Kölner Spielezirkus übernommen, mit zwei Hallen zu 80 und 160 Quadratmetern. Gleich neben dem Loft, Kölns traditionsreicher Jazz-Bühne, soll nun ein Produktionsort wachsen, den die Menschen aus dem Viertel jederzeit besuchen können. Es ist möglich, bei den Proben vorbeizuschauen, und es wird ein Café geben, in dem man sich über das Gesehene austauschen kann. Denn der neue Ort erhält zusätzliche Attraktivität, da Silke Z und Caroline Simon von resistdance vier junge Choreografen mit ins Boot holen. Özlem Alkis leitete in Istanbul in Eigenregie einen Veranstaltungsort und sorgte für einiges Aufsehen mit ihrer Choreografie „Dust Devil“, die mit Humor und erotischem Augenzwinkern unser Zeit- und Körperempfinden provoziert.
Auch Marion Dieterle wird mit von der Partie sein. Sie besticht durch intelligente und sehr originelle Reflexionen über den weiblichen Körper und die Bilder, die wir von ihm entwerfen. Schließlich werden Tim Behren und Florian Patschovsky, die als Duo unter dem Namen overhead project zu den Senkrechtstartern der Szene gehören, in Zukunft in den ehrenfeldstudios produzieren. Als ausgebildete Akrobaten bringen sie eine eigene Farbe in das künstlerische Quartett ein. Allen gemeinsam ist ein Verständnis von Tanz, das sich ästhetisch über den Tellerrand hinausreckt und die Nähe zur Performance und den Horizonten der bildenden Kunst sucht. Silke Z ist schon elektrisiert vom neuen Zusammenschluss, „denn Kunst hat mit Austausch zu tun, und ein solches Studio braucht die Kollegen und ihre Anregungen, die man Tür an Tür aufnimmt“, sagt sie. Für Ehrenfeld, das sich gerade in seinem Kerngebiet rasant verjüngt, werden die Studios einen neuen Impuls geben, während das Publikum hier Tanz in einem pulsierend urbanen Umfeld erleben kann. Am 28. November um 18 Uhr wird Eröffnung gefeiert.
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