Zugegeben: Die Fahrt in die Bonner Oper zur Premiere von „Hair“ begann mit gemischten Gefühlen. Würde das legendäre Rock-Musical aus dem Jahre 1967 den Erinnerungen standhalten, die man mit dieser revolutionären Zeit verbindet? Oder ist der einstige Publikums-Schocker heute nur noch ein nostalgisches Epochen-Souvenir?
Um es vorwegzunehmen: Durch die Kooperation mit dem Staatstheater Kassel und dem Nationaltheater Mannheim, von denen man Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und die „halbe“ Besetzung übernahm, gelang es, eine fulminante Produktion auf die Beine zu stellen. Zwischen zwei weißen – an Skateboard-Halfpipes erinnernden – beweglichen Rampen lässt Regisseur Philipp Kochheim nicht nur die LSD-getränkte Flower-Power-Generation wiederauferstehen. Mit Video-Einblendungen aus Reden von John F. Kennedy und Martin Luther King und Live-Auftritten amerikanischer Ikonen von Rhett Butler bis Andy Warhol zeichnet Kochheim das Bild jener Generation, die der heutigen Jugend ihre mittlerweile wie selbstverständlich empfundenen Freiheiten erkämpft hat. Seinem schauspielerisch wie gesanglich überzeugenden Ensemble gelingt dabei der Spagat zwischen Unterhaltung und Gesellschaftskritik.
Denn wie Claude Bukowsky (großartig: Markus Schneider) damals in Vietnam sterben auch heute noch junge Menschen in unnötigen Kriegen. Genauso zeitlos wie die politische Botschaft ist auch die kraftvolle Partitur von Galt MacDermot, die das Orchester unter dem präzisen Dirigat von Michael Barfuß fetzig intoniert.
Auf eine ganz andere Weise „revolutionär“ ist das von Sylvester Levay komponierte Musical „Elisabeth“, das am 13.10. im Musical-Dome seine Kölner Premiere feiert. Der wohl schönste Song des deutschen MusicalsTheaters – „Ich gehör nur mir“ – lässt schon ahnen, dass es hier nicht um jenes zuckersüße „Sisi“-Bild aus den Romy Schneider-Filmen geht, sondern um das Porträt einer genauso selbstbewussten wie an sich zweifelnden jungen Kaiserin, die mit dem Tod eine unheilvolle Allianz eingeht. Annemieke van Dam füllt diesen von Autor Michael Kunze spannend entwickelten Charakter nicht nur mit ihrer wunderbaren Stimme, sondern auch mit ihrem wahrhaftigen Spiel kongenial aus.
Dass Nostalgie auch urkomisch daherkommen kann, beweist die Familie Malente in ihrer 50er und 60er Jahre-Revue „Schlagerraketen“ im Bad Godesberger „Kleines Theater“. Das Fleisch gewordene Quartett der guten Laune – Peter und Vico Malente, Bianca Arndt, Christin Deucker – entführt uns in die Schlager- und Werbesprüche-Welt der Wirtschaftswunderzeit. Die perfekt getimte Inszenierung von Dirk Voßberg verführt das Publikum zu wahren Mitklatsch-Orgien und zum fröhlichen Einstimmen in die kultigen Werbesprüche von HB, Opal, Ariel und Overstolz.
Und während die famosen Vier in rasender Geschwindigkeit ihre fantasievollen Kostüme (Knut Vanmarcke) und Schlagerstar-Identitäten wechseln, definieren sie auch den „Ausdruckstanz“ neu. Eine musikalische Zeitreise, die wie im Fluge vergeht und Lust auf einen weiteren „Familienabend“ mit den Malentes macht.
www.theater-bonn.de I www.semmel.de I www.kleinestheater-badgodesberg.de
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