Ausgerechnet ein 1984 in München geborener Autor wagt sich an einen Roman über die Jugend in den 1980ern im Mittleren Westen der USA. Der 15-jährige Sam, dessen Mutter zwischen Chemotherapie und hoffnungsvollen Phasen gegen den Krebs kämpft und dessen Vater in stummer Hilflosigkeit keinen Draht zum Sohn findet, nimmt einen Ferienjob im örtlichen Kino an. Der Kontakt zu den älteren Cameron, Hightower und vor allem Kirstie, die alle nach den Ferien den Ort verlassen werden, läutet einen Sommer voller einschneidender Ereignisse ein. „Hard Land“ ist gradliniger erzählt als frühere Romane des Autors, die Erzählstrukturen sind angelehnt an Filme wie „The Breakfast Club“ oder „Stand By Me“. Stellenweise ist die Handlung sehr vorhersehbar, doch Wells sieht dies als „ein Schlüssel beim Schreiben, denn dadurch entsteht ja auch eine gewisse Vertrautheit, die zumindest ich an all diesen Filmen immer geliebt habe.“ Es ist die liebevolle Figurenzeichnung, mit der der Roman seine Leserschaft um den Finger zu wickeln weiß – und so ist es kaum verwunderlich, dass sich der Roman an den Spitzen der Bestsellerlisten findet. Eine zentrale Rolle im Roman spielt der Film „Zurück in die Zukunft“.
engels: Benedict, mit den 1980er Jahren hast du dir diesmal eine Zeit ausgesucht, in die du zwar hineingeboren wurdest, die du aber bewusst nicht erlebt hast. Sozusagen ein historischer Roman mit dem Risiko, von etlichen lebenden Zeitzeugen korrigiert oder belehrt zu werden. Wann und wo hast du das erste Mal „Zurück in die Zukunft“ gesehen? Wie hat der Film auf dich beim ersten Schauen gewirkt und wie ordnest du ihn jetzt ein?
Benedict Wells: Zum ersten Mal habe ich ihn mit acht oder neun gesehen. Damals mochte ich jedoch am liebsten den dritten Teil, der im Wilden Westen spielt – heute für mich eindeutig der schwächste aus der Reihe. Ich habe diese Filme jedenfalls geliebt, und wie für Sam im Buch war Michael J. Fox damals mein absoluter Lieblingsschauspieler. Mit siebzehn sah ich dann den ersten Teil noch mal und war nun auf ganz andere Weise begeistert – weil ich zum ersten Mal begriff, was für ein Meisterwerk er wirklich ist. Vor allem das Drehbuch – zu Recht für einen Oscar nominiert – beeindruckte mich sehr. Wie sauber diese clevere Story geschrieben war, wie witzig und klug, jedes Rädchen griff ins andere. Heute liebe ich den Film immer noch. Wenn George McFly den fiesen Biff endlich stellt und nicht abhaut, habe ich manchmal Tränen in den Augen.
Gleichzeitig amüsieren mich aber auch einige Dinge inzwischen sehr. Etwa, wenn ich mir den Pitch der Macher bei den Studios vorstelle: „Ja, also, da haben wir diesen Teenager, und sein bester und einziger Freund... ist ein alter und durchgeknallter Wissenschaftler. Warum? Darum! Und dann verliebt sich jemand in den Teenager – nämlich seine eigene Mutter.“ Unglaublich, dass das finanziert wurde. Ebenfalls lustig aus heutiger Zeit: Das für die 80s typische, vollkommen materialistische Ende. Ja, der Vater hat mehr Selbstbewusstsein, schön, und ja, die Geschwister straucheln nicht mehr, auch gut. Doch das wahre Happy End des Films ist – wie die Garage aufgezogen wird und der brandneue, polierte Jeep drinsteht.
Dennoch ist das alles noch immer pure Kinomagie. Das weiß ich auch deshalb, weil ich mal alle drei Teile mit Freunden in einem Kino-Marathon in der Kulturbrauerei angeschaut habe – und zwar am 21. Oktober 2015. Wir wollten eigentlich nur den ersten Teil sehen und dann beim zweiten noch erleben, wie Doc Brown und Marty in die Zukunft fliegen: zum eben 21. Oktober 2015. Ein irrer Moment, diesen aus der Kindheit so bekannten Satz plötzlich in der Gegenwart zu erleben. Nichts daraus traf ein, weder das Hoverboard, noch die selbstbindenden Schuhe, noch die Schnellpizzas. Dafür gab es im Film noch Fax. Und ein Jahr später, als Trump an die Macht kam, hatte man das unheimliche Gefühl, als wäre Biff mit seinem Biff Tower in der alternativen Gegenwart Präsident geworden. Nur leider konnte man da nicht zurückreisen und es verhindern.
Als Sam den Job im Kino annimmt und die älteren über Filme und Filmtraditionen diskutieren, hatte ich zunächst den Eindruck, das Kino und die Filmleidenschaft würde eine noch weitaus größere Rolle im Roman einnehmen. Hattest du in eine solche Richtung (so „Cinema Paradiso“-mäßig) mal gedacht und bist davon abgegangen, oder habe ich da etwas lesen wollen, was gar nicht angelegt war?
Nein, mir ging es ganz genauso. Ich habe selbst mal kurz im Kino gejobbt und mir jahrelang vorgestellt, dass es tatsächlich eine größere Rolle im Buch einnehmen würde. Aber als ich dann „im“ Roman war und wirklich mit den Charakteren lebte und daran schrieb, wurde mir klar, dass der Star des Buchs nicht das Kino sein würde, sondern eher das Kaff Grady als Ganzes. Es zog auch meine Figuren ständig hinaus, die Geschichte entwickelte sich einfach in eine andere Richtung. Dennoch wollte ich zumindest noch so viel Kinomagie mitnehmen, wie ich konnte. Es hat anders als gedacht also keine Hauptrolle mehr, aber immer noch eine wichtige Nebenrolle.
Der Roman erzählt ja nicht nur vom Erwachsenwerden und Sex und Trauer, sondern auch vom Verschwinden, vom Umbruch. Die Fabrik ist schon lange weg, aber auch das Kino verschwindet, die Buchhandlung und letztlich auch der Rock'n'Roll. Hast du eine Gewichtung zwischen Literatur, Kino und Musik?
Nein, das ist für mich alles gleich wichtig und auch miteinander verwoben. Ich liebe Kinos, und wenn mir da ein Film gefällt, hole ich mir oft den Soundtrack. Gleichzeitig ist für mich Musik auch beim Schreiben sehr wichtig. Ich erstell ja selbst immer Soundtracks für alle Bücher und versuche diese Welten nicht zu trennen, sondern miteinander zu vermischen.
Benedict Wells: Hard Land | Diogenes | 352 S. | 24 €
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