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Autor Markus Thielemann inmitten der Gastgeber Uta Atzpodien und Torsten Krug
Foto: Martin Hagemeyer

Der Wolf und die Migranten

25. Februar 2025

Markus Thielemann im Ada – Literatur 02/25

Ein Grund zum Schaudern sollte schon zwei Tage später dräuen: Markus Thielemanns Besuch bei „Literatur auf der Insel“ fand am Freitag vor der Bundestagswahl statt, bei der sicher viele auch im Café Ada AfD-Spitzenwerte befürchteten. Passend war der Zeitpunkt jedenfalls, auch wenn das Genre-Label des Schauerromans sich natürlich nicht darauf bezog: Dem Vorrücken von rechts galt auch sein Buch.

„Von Norden rollt ein Donner“ ist der zweite Roman des Wahl-Hannoveraners, Niedersachsen ist auch der Schauplatz des Werks, das auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. Im dörflichen Milieu um die Lüneburger Heide ist eine Geschichte verortet, die um die Präsenz der Neuen Rechten in einem ländlichen Kosmos kreist. Das tut sie mit einem ungewöhnlichen Rekurs: Der Wolf ist zurück in der Gegend, und die Hauptfigur Jannes ist ein junger Schäfer, also potenziell betroffen. Wut staut sich auf, Debatten über „Heimatschutz“ eskalieren. Der naturnahe Handlungsrahmen verleiht  dem Werk etwas Mystisches.

Vormarsch des Raubtiers

Von einer „Spurensuche“ sprach die Dramaturgin und Gastgeberin Uta Atzpodien im Podiumsgespräch und Thielemann stimmte zu. Der Theateregisseur und Mitgastgeber Torsten Krug nannte das Werk so „still“ wie auch „radikal“, wie er es ähnlich kaum kenne. Auf den Wolf bezogen, sprach er von einer „Projektionsfläche“: Die Handlung analogisiert das Umgehen des Wolfes damit, wie von rechter Seite die „Ausbreitung“ von Migranten beschrieben wird. Erzählerisch verzahnt ist das alles mit Familiärem: Jannes' Vater erkrankt an Demenz.

Die Verknüpfung eines Vormarsch des Raubtiers mit rechten Erfolgen war wohl ein Aspekt des Buchs, der bei der Lesung besonders klar zu Tage trat. Bieten sollte es nämlich noch eine ganze Reihe weiterer: Schatten der Vergangenheit zählen dazu, in der Gegend war ein Außenlager des KZ Bergen-Belsen. Thielemann hatte festgestellt, darauf gebe es vor Ort keinerlei Hinweis: „Das fand ich absolut bemerkenswert.“ Darüber hinaus ist hier ein Rüstungskonzerns angesiedelt.

Schatten der Vergangenheit

Hinzu kommt das Schaurige, das Thielemann herausstrich: „Es ist ein Schauerroman“. Von Krug auf mögliche Einflüsse der Romantik angesprochen, erwiderte der Autor, Bezugspunkt seien eher „Folk-Horror-Filme“. Am liebsten, ließ er durchblicken, hätte er das Element beim Schreiben weiter ausgebaut, doch man habe abgeraten – zu surreal. Thielemann hat für derlei wohl ein Faible: Auf engels-Nachfrage verwies er dazu auf eine Figur in seinem Debüt „Zwischen den Kiefern“, auf den Antagonisten. Beim Abend im Ada vermittelte dieser Aspekt sich indes nur bedingt.

Die erste Passage, aus der der Schriftsteller las, gab durchaus einen Eindruck, sie kam stimmungs-, ja geheimnisvoll daher: Es waren die Anfangssätze, die das Setting in wilder Natur vorstellten. Stark ist die Erscheinung auf dem Berg im Zwielicht inszeniert: „Zwei Hunde-Schemen. Dann der Hirte.“ Schauderhaft war das kaum, eher atmosphärisch.

Folk-Horror

Der zweite und letzte Auszug ähnelt einem nüchternen Frage-Antwort-Spiel – mit gutem Grund. Jannes und sein Großvater, auch er Schäfer, werden von Film-Reportern zu ihrem Beruf interviewt. Heidschnucken haben die praktische Funktion, den Boden der Lüneburger Heide zu pflegen. Das Filmteam fragt nach werbender Zugkraft des Brauchs für die Region, und der Altschäfer räumt ein, man mache Zugeständnisse an den Tourismus: „Das gehört ja heute dazu.“ Die Lesestelle war wohl funktional gewählt: Das Interview streift auch den „Heidedichter“ Hermann Löns, der über „Gesindel“ gehetzt und von den Nazis nachträglich eine Art Staatsbegräbnis erhalten habe. Mit dem so eingebrachten NS-Thema eignete sich der Ausschnitt als Handlungs-Scharnier – zum atmosphärischen Eintauchen nicht.

„Dann wird aus der Angst ein Schaudern, das sich ganz schwer in Worte fassen lässt“, hatte Uta Atzpodien einen Leseeindruck formuliert. Dass er das Buch am besten selbst lesen sollte, dachte der Besucher bei dieser „Insel“-Ausgabe noch mehr als sonst: Das Schaurig-Schauderhafte vermittelte sich eher schemenhaft.

Martin Hagemeyer

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