Eine Nacht des Jahres 1979. Mit ihrer Super-8-Kamera warten sechs Jugendliche auf einen heranfahrenden Zug. Sie wollen ein paar unheimliche Szenen für ihren selbstgedrehten Zombiefilm in den Kasten kriegen. Doch dann passiert ein schrecklicher Unfall... J.J. Abrams’ „Super 8“ ist neben Paul Feigs „Brautalarm” die zweite große Überraschung der diesjährigen US-Kinosaison. Der für „Cloverfield“ und „Star Trek“ gefeierte Filmemacher verbeugt sich darin sowohl vor dem frühen Kino Steven Spielbergs als auch vor den damaligen Bedingungen, Kino selbst herzustellen.
Die Geburt des Home Cinema
Bei dem Wort „Super 8“ bekommen nicht nur die letzten noch aktiven Schmalfilmenthusiasten leuchtende Augen. Super 8 war über Jahre hinweg der Stoff, aus dem die Träume waren. Mit dem von Kodak in den sechziger Jahren eingeführten Format erlebte der 8mm-Film für den Hausgebrauch einen einzigartigen Boom. Privatpersonen konnten nun selber Filme drehen und, nach der Entwicklung, mit einem knatternden Projektor auf eine Leinwand projizieren. Damit das Ganze wirkte, hatte es im Zimmer ähnlich dunkel zu sein wie im Kino. Dann musste der Film von der Spule in den Projektor eingefädelt, anschließend zurückgespult werden. Im Gegensatz zum späteren Videosystem musste man notgedrungen mit dem Material haushalten, denn die kleinen Kassetten konnten nur ein paar Minuten aufnehmen und waren entsprechend teuer. Also drückte man jeweils nur Sekunden die Aufnahmetaste, und quälte Familie und Freunde auch nicht mit stundenlangen Filmabenden, sondern knackigen 5- bis 6-Minuten-Vorführungen. Ähnlich verhielt es sich mit fertigen Kauffilmen. Firmen wie Piccolo Film, Marketing oder UFA lizensierten für Deutschland einen Großteil verfügbarer Kinohits, um diese in gekürzten, trotzdem teuren 15-, 30- oder 45-Minuten-Fassungen auf den Markt zu bringen. Meist offerierten die Super-8-Fassungen nur einige der spektakulärsten oder freizügigsten Szenen - und pfiffen auf die jeweilige Storyline. Mit einer Bandbreite, die vom Micky-Maus-Klassiker bis zum Sexlustspiel reichte, wurde so das Home Cinema etabliert.
„Wir sind nicht allein“
Gleichzeitig zum Boom des Heimkinos wurde in Hollywood ein Mann namens Steven Spielberg berühmt. Bereits sein erster Spielfilm „Duell“, eigentlich eine Fernsehproduktion, wies 1971 den Weg zu einer neuen Art universellen Kinos. Das mörderische Katz-und-Maus-Spiel eines einfachen Autofahrers mit einem ominösen Lastwagenfahrer klammerte alle nationalen Befindlichkeiten oder Hintergründe aus. Die Jagd durch die amerikanische Einöde war die Neugeburt eines Kinos, das als Haupt-Spezialeffekt die Story hat. 1976, Spielberg hatte gerade den Superhit „Der weiße Hai“ abgeliefert, bekamen Kinobesitzer in aller Welt eine erste, mit rotem Sternennebel illustrierte Broschüre zu „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ auf den Tisch, „den Film über das vielleicht einzigartigste, spektakulärste Ereignis aller Zeiten“. Monate später legte die Marketingabteilung von Columbia Pictures nach und offerierte eine zweite Mappe mit einem Artwork, das in die Geschichte eingehen sollte: Eine nächtliche Straße, die in ein strahlend helles Licht mündet. „Alles beginnt in einer amerikanischen Kleinstadt und endet mit vier Worten, die wir niemals vergessen werden: Wir sind nicht allein.“ Der Film über die Ankunft von Außerirdischen auf der Erde markierte den endgültigen Durchbruch Spielbergs und den Beginn eines globalen „High Concept“-Kinos, das in den folgenden Jahren immer marktbestimmender wurde und die Filmindustrie umkrempelte. Mit „E.T. – Der Außerirdische“ griff Spielberg das Thema vier Jahre später wieder auf und rührte Millionen von Zuschauern in aller Welt zu Tränen. Ein Gnom, der nur zu seinem Heimatplaneten zurück möchte und als einzige Verbündete ein paar Kinder hat, wurde zum Kassenhit des Jahres. Der Film hatte bereits etwas Kalkuliertes, weniger Künstlerisches als „Close Encounters...“. Letzterer übte vor allem deshalb eine unglaubliche Faszination aus, weil er die unendliche Kraft des Kinos beschwört, und über die Relevanz eigenen Sehens, und eben Nicht-Sehens, eine vom Menschen ersehnte Geborgenheit und Liebe philosophiert. Nicht umsonst spielte Francois Truffaut in dem Film mit, der hinter gutem Kino, ähnlich wie der große Stummfilm-Cineast René Clair, immer die Wahrheit vermutete, wenn auch nur für Minuten.
Abenteuer Kino
J.J. Abrams führt in „Super 8“ nun erstmals die Faszination des Zelluloidfilms mit der universellen Erfahrung von „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ zusammen – und stellt somit eine interessante Verbindung zwischen der Geburtsstunde des Privat- und dem Aufkommen des Blockbusterkinos her. Der Film ist aber mehr als eine Verbeugung vor der Zeit der späten siebziger Jahre, als Dreharbeiten untrennbar mit schweren Kameras und Warten auf die Filmentwicklung verbunden waren. „Super 8“ führt auch zurück zum selbstbestimmten Teenagerkino der Achtziger, zu den „Explorers“ und „Goonies“ und „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“. Eine Zeit, als viele Mainstreamfilme immer auch vom Abenteuer Kino sprachen, das für Teenager soviel verlockender war als die Schule, das Fernsehen, die allgemeine Nachrichtenlage. Viel hat sich seitdem geändert. Und doch auch nicht. Auch im Internetzeitalter hat die „Breaking News“-Mentalität der Erwachsenen, die mit Informiertheit und dem „Ernst des Lebens“ lediglich den Kampf um Erspartes und Gebautes meinen, nichts von ihrer Trostlosigkeit verloren. „Super 8“ spricht für die Ideale der Jugend - und ist damit reinstes, echtes Kino.
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