Die DDR ist tot – lang lebe die DDR, könnte man angesichts der andauernden, medialen Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Geschichte ausrufen. Die Vergangenheitsbewältigung zeichnet sich im Post-Wende-Kino jedoch durch eine eigentümliche Schizophrenie aus. Die eine Seite des Spektrums bevölkern die ulkigen Figuren aus „Good Bye Lenin!“ oder „NVA“, wo all die „kleinen“ Macken der Diktatur versöhnlich an die neue Einheitsbrust gepresst und geherzt werden. Im Kontrast dazu tilgen die düsteren Dramen im Stile von Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ jegliche Farbe aus dem Alltag im Arbeiter- und Bauern-Staat.
Nur ganz wenige Filme balancieren elegant auf einer metaphorischen „Mauer“ (pardon) eigener Art, die sich in den Köpfen mancher Filmschaffender errichtet zu haben scheint. In der Reihe filmischer DDR-Thematisierung nach 1989 konnten diese bisher nur zwei Filme durchbrechen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Leander Haußmanns „Sonnenallee“ und Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“. Auf den ersten Blick mag der schrille, wie ein knallbunt explodierendes Kaleidoskop der 1970er Jahre wirkende Look von „Sonnenallee“ in direkter Opposition zu dem nüchtern inszenierten Werk Donnersmarcks stehen. Was beide aber eint, ist eine Märchenhaftigkeit, die authentischer ist als jede stoische Faktentreue, welche stets bei der Adaption historisch realer Ereignisse oder Epochen gefordert wird. Der Vorzeige-Oppositionelle Wolf Biermann warf anlässlich von „Das Leben der Anderen“ gar die Frage auf, ob Kunst und somit Fiktion nicht ein tieferes Verständnis für die Geschichte zu generieren vermögen als bloße Dokumente. Angesichts dessen bleibt zu überlegen, was (historische) Realität sein soll, ob diese überhaupt rekonstruierbar ist und die Vergangenheit nicht in ihrer destillierten Form greifbarer ist als in Statistiken und Abhör-Protokollen. Auch die Geschichtswissenschaft hat mittels der sogenannten „Oral History“ längst die subjektiven Zeitzeugenberichte in ihren Quellenkanon aufgenommen, von den „großen Männern“, die die Geschicke der Welt lenkten, sieht man auch im akademischen Betrieb ab.
Beschäftigt sich die Coming-of-Age-Story in „Sonnenallee“ mit dem Chaos der Pubertät, über das die Frage, in welches System man nun geboren ist, fast obsolet wird, spielt „Das Leben der Anderen“ mit der humanistischen Prämisse, ob der Mensch prinzipiell zur Veränderung fähig ist. Um beide zu verstehen, muss man sie demnach als Parabel auf die universalen Themen der Menschheitsgeschichte wie Vertrauen und Verrat, Schuld und Sühne, aber eben auch Liebe, Freundschaft und individuelles Glück sehen. Selbst wenn eine NVA-Verweigerung oder der Wandel vom linientreuen Stasiidealisten zum Freiheitskämpfer allein aus romantischen Motiven erfolgte: Als Fazit bietet sich der Schlusssatz aus „Die Stille nach dem Schuss“ an: „Alles ist so gewesen. Nichts war genau so.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zwischen Vakuum und Aufbruch
Kinoheldinnen #4: Ostdeutsche Regisseurinnen – Portrait 11/21
Mutter der Actionheldinnen
Kinoheldinnen (3): Die Produzentin Gale Anne Hurd – Portrait 10/21
Freundliche Grenzüberschreitung
Jim Jarmusch – Portrait 06/19
„An das ganze Leben denken“
Heinz Holzapfel, Pionier des modernen Filmkunstkinos, ist tot - Portrait 08/16
Robin und wie er die Welt sah
Zum Tod von Robin Williams – Portrait 08/14
Kirche gegen Kommunismus
Die „Don Camillo und Peppone“-Filme in der Retrospektive – Portrait 05/14
Surrealer Somnambulist
Zum 30. Todestag von Luis Buñuel
XXL-Memoiren
Arnold Schwarzenegger hat seine Autobiografie geschrieben – Porträt 01/13
Der sensible Rabauke
Zwei Biografien zu Gert Fröbes 100. Geburtstag – Portrait 11/12
Einmal Hollywood und zurück
Siegfried Rauch präsentiert Anekdoten und Rezepte – Porträt 10/12
Ein wahrer Künstler
Maximilian Schell schwelgt in Erinnerungen - Porträt 07/12
Diese blauen Augen
Eine neue Biografie bringt Licht ins Dunkel um Terence Hill – Portrait 06/12
Fortsetzung folgt …
Bud Spencer veröffentlicht Teil zwei seiner Memoiren – Portrait 05/12
Das Gedächtnis des Films
Zum Tode von Helmut W. Banz - Portrait 03/12
Absurditäten des Alltags
Vom Ringen mit dem perfekten Satz - Portrait 03/12
Nicht kleckern, sondern klotzen
Ein Rückblick auf die Stationen Gary Oldman's - Portrait 02/12
Zwischen Reichen und Schönen
Ein neues Filmbuch widmet sich dem Serienphänomen „Columbo“ – Portrait 01/12
Nicht nur ein Cowboy
Das Leben von Lex Barker im Buch – Portrait 11/11
Ein Stück deutsche Fernsehgeschichte
Loriot ist im Alter von 87 Jahren gestorben – Portrait 08/11
Alptraum Wohnzimmer
40 Jahre, 20 Filme: Das Angstkino des Wes Craven - Portrait 05/11
Die Natur des Menschen
„The Way Back – Der lange Weg“: Meisterregisseur Peter Weir ist zurück - Portrait 07/11
Das Format, auf dem die Träume waren
Hommage an Zelluloid und Jugendkino: J.J. Abrams' "Super 8" - Portrait 08/11
Jerry Cotton bleibt Kult
Der ibidem-Verlag veröffentlicht ein Filmbuch zur legendären Jerry-Cotton Reihe - Portrait 08/11
Der Mann mit dem Glasauge und dem Notizbuch
Erinnerungen an den verstorbenen Peter Falk und seine größte Rolle - Portrait 07/11
100 Jahre Terry-Thomas
Der britische Kultkomiker wäre im Juli 100 geworden - Portrait 07/11