Wenn im Januar in Hamburg die Elbphilharmonie mit leichter Verspätung von sieben Jahren und einer siebenfach gesteigerten Bausumme ihr erstes Konzert erlebt, wird Maestro Thomas Hengelbrock als Chef des NDR Sinfonieorchesters am Pult stehen. Bereits zur Weihnachtszeit gastiert er mit den Musikern seines Balthasar-Neumann-Ensembles, benannt nach dem berühmten Baumeister der Barockzeit, in Essen. Dort bringt er knapp sieben (es sind nur sechs) geistliche Kompositionen des „Mozarts des 19. Jahrhunderts“, Felix Mendelssohn Bartholdy, zu Gehör. Das kann nur gut werden.
Aktuell rückten in Übersee zahlreiche reiche Menschen in den Fokus der Medien. Die gab es immer schon, auch in Hamburg im beginnenden 19. Jahrhundert. Dort lebte die jüdische Bankiersfamilie Mendelssohn, Ahnen von Philosophen und Fabrikanten. Wegen der französischen Besetzung Hamburgs zog die Familie nach Berlin, wo die vier Geschwister – darunter Fanny und Felix –protestantisch getauft wurden und der christliche Name Bartholdy angehängt wurde. Fanny und Felix, die musikhistorisch relevanten Kinder, erhielten eine perfekte kulturelle Ausbildung mit Schwerpunkt Musik. Felix durfte erste Kompositionen mit einem eigens engagierten Orchester im Speisezimmer und später im Garten des Hauses vor mehreren hundert Zuhörern ausprobieren und dirigieren – das ist sinnvolle Begabtenförderung.
Felix war „der Glückliche“, das Wunderkind zu Besuch bei Goethe, der Orgel- und Klaviervirtuose, der mitreißende Dirigent und überirdisch schön komponierende Tonsetzer, der Erwecker der vergessenen Meister Bach und Händel, talentierter Maler usw. Sein bestehender bester Ruf konnte nur von ideologischen Größen wie Wagner und durch eine antijüdische Perfektionsmaschine so nachhaltig beschädigt werden.
Hengelbrock, selbst ein unkontrollierbarer Querdenker und Programm-Erfinder, ist der richtige Mann, um das Leben Mendelssohns von Kindesbeinen bis zum früh aufgeschlagenen Totenlager in dessen Werken nachzuzeichnen. Seine in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts gegründeten Spezial-Ensembles kümmern sich stets um das Besondere und realisieren Musiken nach den aktuellen Erkenntnissen der historisch informierten Aufführungspraxis. Diese Umsetzung neuer „alter“ Informationen bezieht sich häufig auf Musiken des 17. und 18. Jahrhunderts, machen aber – wie im aktuellen Programm – auch vor romantischen Klängen nicht halt. Aufführungen beziehen ausgefallene Chorformationen ein, natürlich spezifisch passendes Instrumentarium und teilweise auch halbszenische Inszenierung. Längst vergessene Werke wie Antonio Viottis F-Dur-Requiem erfahren durch Thomas Hengelbrock nicht nur ihre Wiederauferstehung, sondern verblüffen Kenner und Liebhaber gleichermaßen: Dafür gab es sogar Preise. Eine Reihe im Rundfunk trug das Lebensmotto dieser Musikanten im Titel: Abenteuer Musik.
Weihnachtskonzert: Balthasar-Neumann-Chor und Solisten, Balthasar-Neumann-Ensemble, Thomas Hengelbrock, Dirigent | Sa 3.12. 19 Uhr | Philharmonie Essen | 0201 81 222 00
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