Forever Young, I wanne be forever young. Von wegen. Kindheit und Jugend ist auch kein Zuckerschlecken mehr, so ein erster Eindruck am vierten Tag der Duisburger Filmwoche. Dort war beides häufig Gegenstand in Filmen und Diskussionen, was nicht zuletzt an der Podiumsdiskussion „Junge Helden: Praxis und Perspektiven ‚jungen’ Dokumentarfernsehens“ lag.
Jugend+Fernsehen= War gestern
Man war sich darin schnell einig: Das Fernsehen bräuchte mehr jugendadäquate Dokumentarfilmformate. Aber wie soll man die „Kids“ adressieren? Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Sender einen qualitativen Kontrapunkt zu den scripted-Reality- Produkten der Privatsender-Konkurrenz legen möchten, so muss diese schwer fassbare Zielgruppe (Moderatorin Aycha Riffi sprach von 14 bis 29jährigen) erst an das neue Angebot – das bis heute de facto nicht vorhanden ist – herangeführt werden. Radiojournalistin Petra Erdmann vom österreichischen Rundfunk (ORF) stellte da bereits warnend die Frage in den Raum, ob junge Zuschauer pädagogisch mündig gemacht werden müssten, um sich einen Dokumentarfilm anzuschauen.
Einen Schritt weiter ging Filmemacher Stanislaw Mucha. „Wie kriegt man Kinder vor den Fernseher“? war seine Frage. Dies dürfte auch die Öffentlich-Rechtlichen in Unruhe stürzen. Ein Produkt wie der Jugenddokumentarfilm drohe zwischen Zapping-Routine und social Network-Apparaten unterzugehen. Eine Alternative ziehen die Sender 3sat und ZDF-Kultur. Sie wollen für das Jugendformat zukünftig einen digitalen Sendeplatz einrichten, verriet Filmredakteruin Katya Mader.
Die raue Seite des Ostens
Im Kino war man aber auch. Dort präsentierte Stanislaw Mucha seinen Film „Happy End“, den letzten Teil in seiner Reihe „Fremde Kinder“. Sein Protagonist, ein neunjähriger Junge aus der Ukraine, verdient sich ein wenig Geld mit dem Verkauf von Altmetall und Schrott. Mucha begleitet ihn beim Eisangeln mit dem Sozialarbeiter, in der ein-Zimmer-Wohnung mit seiner traurigen Mutter, seiner Schwester – bis zu den Kontakten zum Vater, der hin und wieder nur am Handy anwesend ist. „Happy End“ ist mit Blick auf den Film ein fast schon sarkastischer Titel, denn Andrij kommt ins Heim, wie seine Schwester auch. Die Familie ist hoffnungslos verschuldet.
Soviel gibt es auf der Leinwand. In der anschließenden Diskussion erklärt Mucha, dass die ukrainische Regierung vor der Europameisterschaft 2012 zuerst die streunenden Hunde vom Stadtbild Kiews entfernte. Das war im Sommer. Im Winter wurden dann umherlaufende Kinder wie Andrij entfernt. Sozialarbeiter haben sogar Prämien ausgehändigt bekommen für jedes Kind, dass sie an ein Heim „vermittelten“. Warum er solche Informationen außen vor ließe, wurde Mucha daraufhin aus dem Publikum gefragt. Für ihn käme es nicht darauf an, wie viel in den Film rein muss, sondern wie viel man raus lassen kann, ohne das der Film aufhört, zu funktionieren. Nicht alle Zuschauer teilten diese pragmatische Auffassung.
Zurück in die Stadt seiner Jugend ging Regisseur Dariusz Kowalski. Der Pole verfolgt in seinem Film „Richtung Nowa Huta“ die Spuren der einstigen kommunistischen Vorzeigestadt. Dezent und in Weitaufnahmen porträtiert er das Leben von jungen und alten Einwohnern, deren Lebensraum oft einer urbanen Archäologiestätte gleicht. Bis zum Schluss sind seine Bildräume von einer historischen Träge gezeichnet. Erst dann setzt er sein Found-Footage ein – der Film endet und beginnt von vorn, im Kopf des Zuschauers.
Es ist ein wenig wie mit der eigenen Jugend, die sich jeder immer wieder neu erzählen muss.
Weitere Filme, die am Donnerstag im Programm liefen:
„Schildkrötenwut“ von Pary El-Qalqili
„Kern“ von Veronika Franz und Severin Fiala
„Am Ende aller Tage“ von Irina Heckmann
„Heidis Land – Eine Reise“ von Susanne Quester
Duisburger Filmwoche I noch bis So 11.11. 2012 I Filmforum Duisburg I www.duisburger-filmwoche.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Kino galore
European Arthouse Cinema Day 2023 – Festival 11/23
Herbstzeit – Kinozeit
European Arthouse Cinema Day – Festival 11/22
Feministische Gegennarrative
Das Internationale Frauen* Film Fest kehrt zurück ins Kino – Festival 03/22
Beim Filmemachen zugucken
Das 2. Japanese Film Festival – Festival 02/22
Vom Kleinen zum ganz Großen
„Stranger than Fiction“ traut sich was – Festival 02/22
Arthaus-Werbung mit Mehrwert
Der 6. European Arthouse-Cinema Day – Festival 11/21
Vom Kolonialismus zum Postkolonialismus
18. Afrika Film Festival blickt auf Historie und Gegenwart – Festival 09/21
Vor dem Ton
Die Internationalen Stummfilmtage in Bonn – Festival 08/21
Kannste dir nicht ausdenken …
Neue Nachrichten aus einer verrückten Welt – Festival 02/20
Aus weiblicher Perspektive
Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln – Festival 04/19
Große Stars und kleine Leute
Außergewöhnliche Biografien bei „Stranger than Fiction“ – Festival 01/18
Mehr Mut
Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17
„Eine wahnsinnige Kinolandschaft“
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/17
Im Zeichen von Toni Erdmann
NRW-Empfang 2017 im Rahmen der Berlinale – Festival 02/17
Auf ein Neues: Lünen wieder Filmstadt
27. Kinofest Lünen vom 10.-13.11.2016
Auf Abwegen
Berlinale jenseits des Wettbewerbs – Festival 02/16
Jubiläums-Empfang
NRW-Empfang 2016 im Rahmen der Berlinale – Festival 02/16
Ehrenpreis für eine WDR-Legende
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/16
Kino-Hochburgen
Die regionale Filmszene präsentiert sich auf dem NRW-Kinotag – Festival 11/15
Schwer zu bergende Filmkunstperlen – Kinos bitte melden!
26. Kinofest Lünen vom 12. bis 15. November – Festival 11/15
Bewegter Einstieg
Nachwuchswettbewerb „kurzundschön“ hilft beim Start in die Berufswelt – Festival 10/15
Überraschend modern
Die Internationalen Stummfilmtage Bonn pflegen das frühe Filmerbe – Festival 08/15
Geld regiert die Welt
Das Kölner Filmforum NRW verfolgt den Kreislauf des Geldes – Festival 08/15
Tonangeber
SoundTrack_Cologne kooperiert mit der c/o pop – Festival 08/15