Dass „My fair Lady“ nach seiner deutschen Erstaufführung 1961 am Theater des Westens in Berlin zum hierzulande wohl meistgespielten Repertoire- Musical avancierte, hat es vor allem den mehr der Wiener Operette als dem amerikanischen Musiktheater nahestehenden Kompositionen des österreichischen Emigranten Frederick Loewe zu verdanken. Das ausgerechnet die Verfilmung 1964 dann in Deutschland den Niedergang des weltweit erfolgreichen Hollywood-Filmmusicals einleitete, lag an der Synchronhörigkeit der deutschen Verleiher. Was bei „My Fair Lady“ noch durch Berliner Slang und gute Gesangsstimmen weitgehend gelang, entpuppte sich bei allen späteren „Eindeutschungen“ als kunstzerstörender Fehlgriff.
Auf der Bühne aber strahlt sie weiter. Und seitdem die Lizenzbedingungen für Bühnen- und Kostümbild erloschen sind, wagt man sich auch schon mal an optisch ungewöhnliche Interpretationen, wie jetzt Regisseur Peter Hailer und seine Kostüm- und Bühnenbildner (Uta Meenen, Ettienne Pluss) am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. Im schicken 50er Jahre-Look ficht unsere Eliza (schöne Stimme: Judith Jakob) durch stilvolle Bauhaus- Kulissen den Geschlechterkampf mit einem Henry Higgins (großartig: Joachim G. Maass), wie man ihn zynischer noch nie auf der Bühne gesehen hat. Und Hailer, der an dem eher uramerikanischen „La Cage aux Folles“ noch gescheitert war, liegt offenbar das Operettenhaft-Boulevardeske mehr. Tür auf, Tür zu – und dazwischen ein Ohrwurm nach dem anderen „to go“.
Norbert Hilchenbachs „My Fair Lady“-Inszenierung am Theater Hagen lehnt sich dagegen eher an das Original an. Kostüme (Christiane Luz) und Bühnenbild (Peer Palmowski) folgen seinem Bemühen, ohne der Kopie zu verfallen. Besonders Palmowski versteht es, mit minimalistischen Einsprengseln wie der Golfplatz-Szene im ansonsten eher traditionellen Dekor optische Reize zu setzen. Hilchenbach hat wie Hailer sein Augenmerk auf die Herausarbeitung der Absurdität des (britischen) Klassen-Dünkels gelegt. Dabei verrät er keinesfalls die Satire an die Show, sondern verzahnt beides zu einem hintersinnigen Vergnügen. Dass ihm dies so gut gelingt, liegt auch an Hartmut Volles Interpretation der Higgins-Rolle. Er spielt den Sprachforscher, der mit seinem Kollegen Oberst Pickering wettet, er könne aus der „Rinnsteinpflanze“ Eliza eine Dame von Welt machen, zwar mit einem hart an der Grenze zur „Frauenfeindlichkeit“ liegenden Touch – aber mit einem sofort überspringenden Charisma. Kristine Larissa Funkhäuser kann als Eliza mit dieser übermächtigen Präsenz nicht immer mithalten, zumal ihr bei den Liedern ab und an ihr unnötig ausgestellter Mezzo-Sopran im Wege steht. Dafür entzückt sie mit komödiantischem Talent, wenn sie mit Kieseln im Mund von Higgins sprachtherapiert wird. Wie auf den Leib geschrieben ist Werner Hahn die Rolle von Elizas trinkfestem Vater Alfred P. Doolittle, der sogar den Opernchor und die Statisterie zu einem schmissigen Tänzchen mitreißt.
MIR Gelsenkirchen I 9./20./25.6 I 0209 409 72 00 Theater Hagen I 4./30.6. I 02331 207 32 18
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