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Thomas Frölicher
Foto: Michel Lüthi / bilderwerft

„Entweder flüchten oder sich anpassen“

29. August 2024

Teil 1: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel

engels: Herr Frölicher, wie wirken sich Hitzewellen auf den Ozean aus? 

Thomas Frölicher: Die Weltmeere sind der Wärmepuffer im Klimasystem. Aufgrund der Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen nehmen sie die größte Menge an Energie auf, die sich im Klimasystem speichert. Neunzig Prozent der zusätzlichen Energie aus dem Klimasystem geht in den Ozean. Dadurch erwärmen sich die Ozeane. Über die letzten 170 Jahre hat sich die Meeresoberflächentemperatur bereits um 0,9 Grad erwärmt. Der Haupttreiber ist dabei der Ausstoß der menschengemachten Treibhausgase, wie CO2, Methan und Stickstoffdioxid. Im letzten Jahr war das Meer extrem warm. In diesem Jahr auch noch. Der Wechsel von La Niña- zu El Niño-Bedingungen [Wetterphänomene, die die Meeresströmung und Luftzirkulation im äquatorialen Pazifik prägen und das Wetter weltweit beeinflussen; d. Red.] hat zu einer Beschleunigung der Zunahme der Temperatur geführt. Seit März 2023 hatten wir fünfzehn Monate, in denen die Meerestemperatur auf Rekordniveau war – noch nie so hoch seit sie mit Satelliten seit 1982 gemessen wird. Das ist schon ein bisschen ungewöhnlich. Wir wissen, dass die globalen und auch die regionalen Hitzewellen sehr schädlich sind, z.B. für marine Ökosysteme. Wir haben das in einem Blob gemerkt, das war eine riesige Meereshitzewelle im Nordostpazifik zwischen 2013 bis 2015. Damals haben wir gesehen, dass diese große Hitzewelle zu einer erhöhten Sterblichkeit von Vögeln, Fischen, aber auch Meeressäugern sowie zur Entstehung von schädlichen Algenblüten geführt hat. Einige marine Populationen haben sich seither nicht vollständig erholt, obwohl dieses Ereignis schon fast zehn Jahre her ist. Deswegen sind wir sehr besorgt, dass jetzt im Jahr 2023/24 wieder eine globale marine Hitzewelle entstanden ist. Wir erwarten daraus folgend sehr starke negative Konsequenzen für marine Ökosysteme. 

„Schädliche Einflüsse auf das marine Ökosystem“

Treten Hitzewellen immer allein auf oder können sie zu mehreren vorkommen – und sich womöglich gegenseitig verstärken?

Das sehen wir jetzt gerade: Es hat im Jahr 2023/24 mehrere Hitzewellen in verschiedenen Regionen gegeben. Vor allem der östliche tropische Pazifik war extrem warm aufgrund dieser El Niño-Bedingungen, aber auch der Nordatlantik sowie das Mittelmeer. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten kombinierten Extremereignissen, bei denen an verschiedenen Orten in den Weltmeeren solche marinen Hitzewellen vorkommen. Es kann auch sein, dass diese marinen Hitzewellen nicht allein an einem Ort oder kombiniert mit einem erhöhten Säuregrad und einem erniedrigten Sauerstoffgehalt auftreten. Das konnten wir auch bei diesem Blob in den Jahren 2013 bis 2015 sehen. Dabei gab es nicht nur extrem hohe Temperaturen, sondern auch eine tiefe Sauerstoffkonzentration und eine erhöhte Säurekonzentration. Diese Kombination der drei Stressoren, also der hohen Wärme, des niedrigen pH- oder Säuregehalts und des niedrigen Sauerstoffgehalts, hat zusammen dazu geführt, dass es zu diesen schädlichen Einflüssen auf das marine Ökosystem gekommen ist. Doch es gibt nicht nur Einflüsse auf Ökosysteme. Es kann auch zu Wechselwirkungen mit der Atmosphäre führen. In den Tropen verursachte es eine Intensivierung tropischer Wirbelstürme. Wenn wir z.B. in polaren Gebieten solche marinen Hitzewellen haben, kann auch ein starker Rückgang von Meereis die Folge sein. Aber es kann auch zu starken Niederschlagsereignissen führen. Wenn wir eine Hitzewelle haben, kommt es automatisch zu mehr Verdunstung. Und wenn sich diese Luftmassen über Land abregnen, hat es dann viel mehr Potenzial, solche starken Niederschlagsereignisse zu ergeben. 

„Grundsätzlich sind alle biologischen Organismen von der Temperatur betroffen“ 

Wie wirkt sich die Hitze auf Meeresbewohner aus? 

Es kommt ein bisschen darauf an, da es mobile und nicht-mobile Meeresbewohner gibt. Mobile Meeresbewohner wie Fische können zum Teil vor dieser Hitze fliehen. Das können sie entweder tun, indem sie sich nördlich oder südlich, je nachdem in welcher Hemisphäre sich die Fische befinden, bewegen – und wenn sie schnell genug sind. Oder sie bewegen sich bei Hitze in die Tiefe, wo es auch kälter ist. Dort haben sie allerdings oft das Problem, dass der Sauerstoffgehalt zu gering ist und sie daher nicht zu tief absinken können. Andere Ökosysteme wie Korallen sind sesshaft und können nicht weiter auf dieser Zeitskala handeln. Sie sind durch Bleichungen, aber auch durch ein vollständiges Absterben gefährdet. Alle globalen marinen Hitzewellen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, haben dazu geführt. Grundsätzlich sind alle biologischen Organismen von der Temperatur betroffen. Sie agieren oftmals in einem vordefinierten Temperaturbereich, in dem sie sich wohlfühlen. Wird die Temperatur zu kalt oder zu warm, müssen sie entweder flüchten oder sich anpassen. Können sie sich nicht anpassen, kommt es zu diesen schädlichen Einflüssen. 

„Es führt physisch zu schwächeren Strukturen“

Das Meer wird durch die Aufnahme von menschengemachtem CO2 saurer. Was bedeutet das für Meereslebewesen? 

Der Ozean nimmt etwa 20 bis 30 Prozent des menschengemachten CO2 auf und funktioniert so als natürliche Senke. Ohne diese CO2-Senkung hätten wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens bereits aus den Augen verloren und wären schon über 1,5 Grad hinaus. Die CO2-Konzentration läge dann über 500 ppm, nicht wie im Moment bei 426. Der Ozean als natürliche CO2-Senke hat zur Folge, dass der pH-Wert im Meer sinkt, sobald sich das CO2 im Meerwasser löst. Dadurch steigt die Protonen-Konzentration, also die H+-Konzentration. Zeitgleich führt es auch dazu, dass die Carbonationen-Konzentration im Meer abnimmt. So wie der Mensch Nahrung braucht, um zu überleben, brauchen kalkschalenbildende Organismen Carbonationen, um daraus ihre Schalen zu entwickeln. Nimmt diese Carbonationen-Konzentration aufgrund der Abnahme des pHs ab, sind zu wenig Carbonationen im Wasser, um diesen Prozess zu bewerkstelligen. Davon betroffen sind Organismen wie Korallen, die ihre Skelette aus Kalk bilden, aber auch Muscheln, Schnecken und einige Planktonarten. Das führt physisch zu schwächeren Strukturen und einer erhöhten Anfälligkeit für Schäden im Allgemeinen. Bei anderen Organismen wie etwa Fischen hat man auch gesehen, dass ein niedriger pH-Wert das Verhalten ändert. Sie verlieren z.B. die Fähigkeit, Feinde zu erkennen oder auch geeignete Lebensräume zu finden. In Korallenriffen verlangsamt eine niedrigere Carbonationen-Konzentration deren Wachstum und die Riffstruktur wird geschwächt. Das hat zur Folge, dass die Biodiversität abnimmt. Korallenriffe haben eine sehr hohe Biodiversität und bieten Lebensraum für viele Meeresarten. Je kleiner das Korallenriff wird, desto mehr nimmt die Biodiversität darin ab. 

„Wir wissen nicht, wie die langfristigen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme sind“

Sie können sich schlecht daran anpassen? 

Gewisse Korallenarten können sich an diese schnellen Änderungen anpassen. Aber der überwiegende Teil kann das nicht. Laut dem letzten Weltklimabericht sterben etwa 90 bis 95 Prozent der Warmwasserkorallen, wenn die Temperatur in der Atmosphäre über 1,5 Grad steigt. Das Risiko, dass es zum Absterben kommt, ist also sehr hoch. 

Könnte dagegen eine Kalkdüngung der Meere helfen?

Im Moment nimmt der Ozean 20 bis 30 Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen auf. Die Idee einer Kalkdüngung ist, diese natürlichen CO2-Senken des Ozeans noch zu erhöhen. Die atmosphärische CO2-Konzentration könnte sich so reduzieren. Folglich würde die globale Erwärmung nicht so hoch ausfallen – so die Theorie. Bei einer Kalkdüngung würde man Silikat oder Kalk direkt ins Oberflächenwasser des Ozeans einspeisen. Aufgrund chemischer Prozesse kann der Ozean dann mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Man weiss, dass das chemisch funktioniert. Die Idee wäre, die Mineralien Silikat oder Kalk an Land abzubauen, mit Schiffen aufs Meer zu transportieren und sie dann im Wasser zu verteilen. Als positiver Nebeneffekt würde es auch der Ozeanversauerung etwas entgegenwirken, da das Ozeanwasser dadurch basischer würde. Jedoch gibt es da große Forschungslücken. Wir wissen nicht, wie die langfristigen Auswirkungen der Zugabe von Silikat und des zermahlenen Gesteins auf die marinen Ökosysteme und Organismen sind. Auch braucht eine großflächige Verteilung von Kalk, Steinen und Silikat große logistische und finanzielle Mittel. Es ist noch unklar, wie groß sie sein werden. Auch über die tatsächliche Effizienz am Schluss wissen wir noch zu wenig. Was aber klar ist: Die Idee, die CO2-Senke im Ozean zu erhöhen, würde nur dazu führen, Emissionen, die wir nicht vermindern können, quasi abzuschwächen. Aber 90 Prozent der Emissionen, die zurzeit in die Atmosphäre entweichen, müsste man durch ihr Vermeiden auf null bringen. Künstliche Methoden wie Kalkdüngung würden nur dazu führen, dass wir höchstens 5 bis 10 Prozent der derzeitigen Emissionen kompensieren könnten. Der grösste Teil dürfte immer noch gar nicht erst entstehen. 

„Grönland und die Antarktis haben das größte Frischwasservorkommen“

Welche Folgen hat ein Temperaturanstieg für die Polarregionen, also Arktis und Antarktis? 

Wenn die Temperatur über den Polarregionen erhöht wird, kommt es zum Schmelzen der Eiskappen und zum Anstieg des Meeresspiegels. Grönland und die Antarktis haben das größte Frischwasservorkommen. Das Frischwasser ist gebunden in Eis. Wenn es abschmilzt, steigt der Meeresspiegel an. Über die letzten 120 Jahre hat sich der Meeresspiegel um zwanzig Zentimeter erhöht. Etwa 55 bis 60 Prozent des Anstiegs kommt vom Schmelzen der Gletscher und dieser Eiskappen. Wenn sich die Polarregionen noch stärker erwärmen, steigt der Meeresspiegel noch weiter, da die Eiskappen zunehmend abschmelzen. Global erhöht sich dadurch der Meeresspiegel. In den Polarregionen wird der tiefe Ozean ventiliert. Das Wasser von der Oberfläche vermischt sich bis in die Tiefe des Ozeans. Alles, was sich im tiefen Ozean befindet, wird von den Polarregionen ventiliert. Erwärmen sich die Polarregionen jetzt stärker, nimmt die Durchmischung des tiefen Ozeans ab. Das hat zwei Folgen: Es kann dadurch weniger CO2 im Ozean aufgenommen werden, da es weniger von der Oberfläche in die Tiefe transportiert wird. Mehr CO2 verbleibt so an der Oberfläche. Der zweite Punkt ist: Auch der Sauerstoffgehalt nimmt ab. An der Oberfläche des Ozeans ist sehr viel Sauerstoff. Die Polargebiete ventilieren den tiefen Ozean auch mit Sauerstoff. Er wird darüber in die Tiefe transportiert. In den letzten 50 Jahren hat es zu einer Abnahme von ein bis drei Prozent des Sauerstoffgehalts geführt. Ein Teil kam durch die Zunahme der Temperatur in Polargebieten zustande, der andere Teil dadurch, da Sauerstoff weniger löslich ist, in Meerwasser. 

„Plötzlich hat sich dieser Prozess in Gang gesetzt“

Hat das auch Auswirkungen auf die Eisbildung für das Meereis? 

Das Eis über Grönland und der Antarktis hat auch Einfluss auf das Meereis. Man hat gesehen, dass das Meereis im arktischen Ozean stark abnimmt. Aber nicht nur im arktischen Ozean, auch um die Antarktis herum. Über die letzten drei Jahre hat die Fläche des Meereises extrem stark abgenommen. In den letzten 150 Jahren war das in der Antarktis nicht der Fall. Da war das Meereis immer etwa gleich groß. Plötzlich hat sich dieser Prozess in Gang gesetzt und führt dazu, dass die Meereisbedeckung nicht nur in der Fläche, sondern auch im Volumen des Meereises stark zurückgeht. Die Folge ist, dass dann mehr Frischwasser auf das offene, polare Ozeangebiet gelangt. Denn das Meereis ist ja Frischwasser – enthält also kein Salz – und Frischwasser ist weniger dicht als Salzwasser. Salzwasser hat noch diese Salzionen, die dichter und schwerer sind. D.h., wenn das Meerwasser an der Oberfläche aufgrund der Zunahme dieses Frischwassers weniger dicht wird, wird die Ventilation, sprich die Durchmischung, abnehmen. Dann schwimmt leichteres Wasser an der Oberfläche, das sich nicht so gerne mit dem tiefen, schwereren Wasser mischt.

Interview: Nina Hensch

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