Nachdem sie die Titanen besiegt hatten, teilten die Brüder Zeus, Hades und Poseidon die Welt unter sich auf. Zeus bekam die Oberherrschaft über den Himmel, Hades über die Unterwelt und Poseidon über das Meer. Die Welt der Menschen untersteht zwar keiner absoluten Hoheit, doch außerhalb ihrer hat der Mensch nichts zu melden. Um in den Himmel oder in die Unterwelt zu gelangen, muss er in der Regel tot sein. Einzig aufs Meer kann er freiwillig fahren. Zwar bleibt er an der Oberfläche, wenn er in See sticht, doch ist dieser Stich ein Eindringen in Poseidons Reich, und dort ist der Mensch dem Gott schutzlos ausgeliefert.
Die See – eine wilde Braut?
Jahrhunderte später nimmt keiner mehr an, dass in den Tiefen des Meeres ein Dreizack schwingender Gott wohnt. Stattdessen lauern dort Wale, Riesenkraken und andere Seeungeheuer. Darüber hinaus locken Sirenen, Klabautermänner wollen einen holen. Ja, die See ist eine wilde Braut. Und Bräute wollen erobert werden – dachte man zumindest. Von den Geisterschiffen an der Oberfläche und den Stürmen, die die See aufwühlen, ganz zu schweigen. (Besonders letztere machen sich als großformatige Gemälde gut im Kaminzimmer.) Man – das ist vor allem Mann – hängt dieser abenteuerlichen Mischung aus Geltungsbedürfnis, Hybris und Dummheit an. Dass man damit auch im maritimen Sinne falsch lag, zeigt die nach und nach einsetzende Aufklärung über jene vermeintlichen Schauergestalten aus der Tiefe.
Ein paar weitere Jahrhunderte später sind immer noch mehr als 90 Prozent der Ozeane quasi unerforscht. Allein im Jahr 2014 wurden über 1.400 maritime Arten neu beschrieben. Man geht davon aus, dass es noch bis zu zwei Millionen unentdeckte Meeresbewohner gibt. Selbst bei aktuellem Tempo dauert es also noch mehr als 300 Jahre, um sie alle zu finden. Ein trauriger Lichtblick für ungeduldige Sammler: Vielleicht sterben täglich mehr Arten aus, als entdeckt werden. Denn wir mögen die See weder wirklich kennen noch erobert haben – es hindert uns nicht daran, so zu tun als ob.
Sonnendeck und Eisberge
Der Brite Granville Bantock schuf mit der „Hebridean Symphony“ ein musikalisches Gemälde, das den vielschichtigen und wechselhaften Charakter des Meeres abbildet. Wellen plätschern, Nebel zieht auf, Wellen rauschen, ein Gewitter zieht auf, Wellen toben. Schiffe legen auf, ab und es darauf an, andere in der Schlacht zu besiegen. Das war der Mensch und das Meer, noch in den 1910ern.
Nur fünfzig Jahre später tönt es aus amerikanischen Radios: „Let’s go surfin now / Everybody’s learning how“. Die Beach Boys reiten total die Welle des surf craze. Segeln wird zum Sport, den sich allmählich sogar die Mittelklasse leisten kann, und 1991 wurde das Gemälde vom Schiff im Sturm mit einer Südseestrandfototapete überklebt. Wer heute an Schiffe denkt, hat eher das Sonnendeck der Aida vor Augen, nicht die Eisberge, die Sir Shackletons Expeditionsschiff Endurance zermalmten. Die See wurde immer noch nicht erobert, sie wurde gekidnappt und wird verschachert, ausgenutzt, erniedrigt und zwangsprostituiert.
Auch die Kunst hat sich verändert. Sie zeigt nicht nur, sie will mahnen. An Zyperns Stränden haben die Mülleimer für Plastikflaschen Fischform. Besser der Metallfisch am Strand hat’s im Magen als der echte im Wasser. Aber ich befürchte, die meisten Zypern-Urlauber erkennen den Zynismus dieser praktischen Installation nicht. Oder ich interpretiere zu viel hinein. So ist das mit der Kunst. Aber wie hilft das dem Meer?
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Ausgefischt
Intro – Meeresruh
Stimmen des Untergangs
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„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 1: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
Wasser für Generationen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 2: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 3: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
Korallensterben hautnah
Teil 3: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Exorzismus der Geisternetze
Bekämpfung von illegaler und undokumentierter Fischerei – Europa-Vorbild: Italien
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 1: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 2: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
Schulenbremse
Teil 3: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
Glücklich erinnert
Teil 1: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
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Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 3: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Das Spiel mit der Metapher
Teil 1: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
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Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 3: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien