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Der Stellvertreter
Frankreich/D/RUM 2001, Laufzeit: 130 Min., FSK 12
Regie: Constantin Costa-Gavras
Darsteller: Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Ulrich Mühe, Michel Duchaussoy, Ion Caramitru, Marcel Iures, Friedrich von Thun, Antje Schmidt, Hanns Zischler, Sebastian Koch, Erich Hallhuber, Burkhard Heyl, Angus McInnes, Bernd Fischerauer, Pierre Franckh, Richard Durden, Monica Bleibtreu, Justus von Dohnanyi, Günther Maria Halmer

Ab dem Moment, da der SS-Chemiespezialist Gerstein einen Blick in eine der Gaskammern geworfen hatte und Zeuge des über eine Stunde anhaltenden Todeskampfes der eingeferchten Juden geworden war, versucht er alles in Gang zu setzen, um die Welt von diesem Greul zu unterrichten. Dies allein, so seine Hoffnung, könne dessen Fortgang aufzuhalten. Seine Kontaktaufnahmeversuche mit der schwedischen Botschaft bleiben jedoch fruchtlos. Die Verantwortlichen der protestantischen Kirche, in der er angesehenes Mitglied ist, reagieren auf seine Zeugenschaft mit Parolen des Nichtwahrhabenwollens und Machtlosigkeitseingeständnissen, wenn nicht gar das Wort von der Solidarität mit Deutschland als wichtigerer Faktor fällt. Einige katholischen Kardinäle, fast ausschliesslich interessiert am Schicksal ihrer Glaubensbrüder, bekennen sich mehr oder weniger offen zur zynischen Politik, die Nazis als nützlichen Schutz gegen den Bolschewismus arbeiten zu lassen. Nur eine Einzelperson, der Pastor Riccardo, zeigt sich von Gersteins Berichten erschüttert. Auf der Suche nach der Wahrheit wird er als gebrochener, nahezu glaubensloser Mann ebenfalls in der Todeskammer enden, zu denen er freiwillig mit den Juden aufbrach. Bereits Rolf Hochhuths 1962 erschienenes, umfangreiches Drama “Der Stellvertreter³, das die Grundlage dieses Werks Costa-Gravas ist, liess die Wellen hochschlagen. Doch seit dem Filmstart ist die Debatte um die Öffnung der päpstlichen Archive und die Mitverantwortung der Kirchen im grossen Umfang neu erwacht. Costa-Gravas (Missing, 1982) folgt der polemischen Dramaturgie Hochhuths. Er zeigt einen in Weiss gekleideten Papst Pius XII mit seiner weissen Friedenstaube durch die Gänge seines Palastes wandeln, während vor seiner eigenen Haustür bereits die Juden massenweise abtransportiert werden. Tristes Schlusslicht dieser Geschichte des Versagens ist die gelassene Abreise derjenigen Figur, die wie keine andere das intelligent zynische Böse inkarniert. Bei Hochhuth schlicht “der Doktor³ genannt, versprach diese historisch beglaubigte Gestalt mit Dandystock lächelnd Kindern einen guten Pudding, und schickte sie dann in die Gaskammer. Nun sieht man den “Doktor³ gegen Kriegsende in den Gärten des Vatikans, wo seine Ausreise nach Argentinien organisiert wird. Nach Steven Spielbergs “Schindlers List³ (1993) und Roberto Benigni “La vita è bella³ (1997) thematisert Costa Gravas den Alptraum des 20. Jahrhunderts noch einmal unter der Perspektive des isolierten Individuums, das schmerzhaft erkennen muss, dass selbst religiöse Grossinstitutionen ihre ethischen Aufgaben nur dann zu erfüllen bereit sind, wenn Eigeninteressen nicht berührt werden. Dass mit dem Versagen der Kirchen und angesichts der Perfektion menschlicher Tötungslust, wie sie sich im Holocaust manifestiert, auch die Existenz Gottes fragwürdig wurde, wird in der Gestalt des naiv gläubigen Riccardos, der den Tod schliesslich dem Weiterleben vorzieht, und Gersteins, der sich in seiner Zelle umbringt, zur Evidenz. Ab hier spätestens begann das Unbehaustsein und die Ideologie des Einzelkampfes.

(Dieter Wieczorek)

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