Enemy
Kanada, Spanien 2013, Laufzeit: 90 Min., FSK 12
Regie: Denis Villeneuve
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Melanie Laurent, Sarah Gordon
>> www.enemy-film.de
Surrealer Psychothriller
Irritierte Identität
„Enemy“ von Denis Villeneuve
Anfangs- und Schlussszene von Denis Villeneuves Film „Enemy“ sind verstörend. Zu Beginn sehen wir eine Art Geheimbund, der sich zu einer erotischen Show trifft: Eine Frau bringt auf einem silbernen Tablett eine große Spinne auf die Bühne, dann drückt sie langsam mit ihren Highheels auf den Körper des Spinnentiers. Die Schlussszene ist nicht minder verstörend, soll hier aber nicht verraten werden. Es sind Szenen, die mit ihrem krassen Symbolgehalt aus einem Film, der ständig mit der Balance zwischen Realismus und Surrealismus spielt, herausfallen.
Schuld und Verlangen
Adam ist Geschichtsprofessor. Sein Leben ist unaufgeregt – ein Tag gleicht dem anderen. In den Vorlesungen spricht er über die Strategien von Diktaturen, das Volk zu unterjochen: mit Unterhaltung abzulenken, Information zu begrenzen, individuellen Ausdruck einzuschränken. In seinem nur spärlich und wenig wohnlich eingerichteten Appartement trifft er sich abends mit seiner Freundin Mary. Sie reden wenig, haben kurzen, aber heftigen Sex. Später geht sie meist zu sich nach Hause. Als sich Adam eines Abends einen Film ansieht, entdeckt er in einer Nebenrolle einen Schauspieler, der ihm bis aufs Haar gleicht. Adam sucht die Agentur seines Doppelgängers Anthony Claire auf, fährt zu dessen Wohnung in einem Hochhauskomplex am Stadtrand und ruft ihn schließlich an. Ans Telefon geht eine Frau, die ihn offensichtlich für Anthony hält, denn auch die Stimme der beiden ist zum Verwechseln ähnlich. Bei einem zweiten Versuch hat er Anthony am Apparat und bittet ihn um ein Treffen. Dann wechselt der Film die Erzählperspektive: Wir sehen in einer perfekt eingerichteten Wohnung Helen, die hochschwangere Ehefrau von Anthony. Die beiden geraten wegen des Anrufers in Streit. Helen vermutet eine Affäre. Als Anthony ihm von dem vermeintlichen Doppelgänger erzählt, glaubt sie ihm zunächst nicht. Doch dann möchte auch sie den geheimnisvollen Mann treffen...
Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve hat spätestens mit seinem für den Auslands-Oscar nominierten Film „Die Frau die singt – Incendies“ internationale Aufmerksamkeit erlangt. Im letzten Jahr kam sein packender Psychothriller „Prisoners“ um eine Kindesentführung in die Kinos. Im Vergleich zu der amerikanischen Großproduktion ist „Enemy“ ein kleiner Film. Auch wenn er erst jetzt in die Kinos kommt – tatsächlich wurden „Enemy“ und „Prisoners“ fast parallel produziert. Thema und Ästhetik der beiden Filme sind dennoch kaum vergleichbar. Zentraler Topos von „Enemy“ ist der Doppelgänger. Das deutsche Wort wird auch im Englischen verwendet, weil das Thema des Doppelgängers in der weltweit einflussreichen deutschen Romantik als Symbol für die Angst vor dem Verlust der mit der Aufklärung gewonnenen Individualität sehr populär war. Es ist dieselbe Individualität, über deren Vernichtung Adam in seinen Vorträgen über Diktaturen referiert. Was aber, wenn sich das Individuum aufspaltet, um Schuld und Verlangen zu verdrängen? Ein scheinbar aktuelles Thema: Alleine in diesem Monat droht auch in den beiden deutschen Filmen „Vergiss mein Ich“ und „Über-Ich und Du“ große Gefahr für die Identität der Protagonisten. In der Buchvorlage „Der Doppelgänger“ von José Saramago („Stadt der Blinden“) nimmt die Geschichte ganz zum Schluss eine etwas andere Wendung. Das liegt daran, dass Saramago mehr an dem Thema des Erzählens an sich interessiert ist, während sich Villeneuve auf das psychologische Thema der Schuld und der daraus resultierenden Identitätskrise konzentriert. Und so ist die Handlung von einer Grundstimmung der Depression, aber auch der Angst gezeichnet. Das kennzeichnet auch die Ästhetik des Films, die mit seinen grauen Bildern und vor allem den düsteren Szenen in Adams Wohnung sicher nicht zufällig an den ersten Teil von David Lynchs „Lost Highway“ erinnert: Auch dort geht es um verdrängte Schuld und Identitätsstörungen.
Dekonstruktion des Ich
Getragen wird die angespannte Stimmung vor allem von Jake Gyllenhaal, der hier in einer Doppelrolle brilliert. Die sich stetig steigernde Spannung manifestiert sich besonders im Antlitz von Adam. Eine Leistung, die Gyllenhaal direkt im Anschluss die Figur des Kommissars in „Prisoners“ eingebracht hat. An Gyllenhaals Seite verkörpert Mélanie Laurent Adams Freundin und Sarah Gadon Anthonys schwangere Frau Helen, während – nur selten im Bild, aber immer präsent – Isabella Rossellini als dominante Mutter über dem Szenario thront. Visuell mutet der Film die meiste Zeit realistisch an. Während „Die Frau die singt“ und „Prisoners“ diese Ebene nie verlassen, gleitet „Enemy“ aber immer wieder in einzelnen Szenen mal subtil und unentschieden, mal sehr offensichtlich ins Surreale ab. In „Die Frau die singt“ und auch in „Prisoners“ vermag es Villeneuve, dem Zuschauer in schockierenden Momenten regelrecht den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Auch dort geht es um Identitäten, die ins Wanken geraten. „Enemy“ endet mit einem solchen schockierenden, die Konstruktion des eigenen Ichs schwer irritierenden Moment.
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