Happy-Go-Lucky
Großbritannien 2008, Laufzeit: 118 Min., FSK 6
Regie: Mike Leigh
Darsteller: Sally Hawkins, Eddie Marsan, Nonso Anozie, Samuel Roukin, Alexis Zegerman, Sarah Niles
Poppy stolpert leichtfüßig durchs Leben. Mit ihrer direkten Art stößt die Grundschullehrerin so manchen vor den Kopf, gewinnt aber auch die Herzen der Menschen.
Happy-Go-Lucky – das heißt so viel wie sorglos, unbeschwert, unbekümmert. Mit diesen Attributen ist der Charakter der Protagonistin in Mike Leighs neuem Film zunächst hinreichend umschrieben. Vielleicht sollte man noch sagen, dass die gutherzige Poppy etwas enervierend sein kann. Das merkt man gleich in der Eröffnungsszene, wenn sie einen wortkargen, in sich versunkenen Buchhändler mit ihren flotten Sprüchen bedeckt, ohne die Signale ihres Gegenübers zu beachten. Der will offensichtlich in Ruhe gelassen werden. Schnell ahnt man, dass hinter der quirligen Fassade der Versuch stecken könnte, die unangenehmen zwischenmenschlichen Momente zu überspielen.
Offensiv bis es kracht
Poppy nimmt alles mit: Nachts wird mit den Freundinnen gefeiert, am Vormittag als Kindergärtnerin gearbeitet, nachmittags auf dem Trampolin gehüpft, und wenn sie sich dabei den Rücken verrenkt, geht sie stattdessen halt mit einer Kollegin zum Tangokurs. Am Wochenende lernt der 30jährige Single schließlich Autofahren. Bei allem und jedem hat sie einen flotten Spruch auf den Lippen und reißt ihre Witzchen. Das kann schon mal sehr impertinent sein. Besonders ihren Fahrlehrer Scott bringt sie damit aus der Fassung. Der offensichtlich paranoide Verschwörungstheoretiker und Rassist ist das Gegenteil von Poppy. Statt Unvoreingenommenheit beherrschen ihn Vorurteile, statt Fröhlichkeit verklemmte Misanthropie. Dass es zwischen den beiden nicht gut gehen kann, ist klar. Als es schließlich kracht, zeigt sich aber, dass Poppy nicht nur überspielt, sondern ihre offensive Kommunikation bei Konflikten auch tatsächlich eine Chance birgt, die Leute zu erreichen.
Mike Leigh, der bereits 15 Jahre lang jährlich einen Fernsehfilm machte, bevor er erst Ende der 80er Jahre zum Kino wechselte, hat sich neben Ken Loach zu dem ausdauerndsten und verlässlichsten Chronisten der unteren Mittel- und Arbeiterschicht entwickelt. Dabei bedient er sich einer schlichten, dem Realismus verpflichteten Ästhetik. Oberste Prämisse ist, den Blick auf die Menschen nicht durch eine aufdringliche Gestaltung zu verbauen. Die Kamera scheint einfach da zu sein. Sie gibt zwar nicht vor, dokumentarisch zu sein im Sinne einer Dogma-Inszenierung – dafür arbeitet sie zu perfekt. Aber sie ist eben auch nicht betont raffiniert oder virtuos. Gleiches gilt für den Schnitt. Daneben sind die sehr genauen Charakterstudien und der warmherzige, aber nicht verklärende Blick auf die Figuren ein weiteres Merkmal der Filme von Mike Leigh. Bei ihm gibt es keine Schwarzweißzeichnungen, die Figuren sind meist ambivalent angelegt und zeigen immer auch liebenswerte Seiten. Es ist sogar so, dass einige seiner Protagonisten gerade wegen ihrer Güte scheitern. Dies zeichnete vor allem seinen letzen, 2004 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Film „Vera Drake“ aus. Selten wählt er eine wirklich dunkle Hauptfigur und spürt deren Abgründen nach. In seinem ersten großen Kinoerfolg, dem 1993 zweifach in Cannes prämierten Film „Nackt“, beobachtet er eine solche Figur, aber sogar hier zeigt er eine verletzliche Seite. Der Protagonist ist der zynische Streuner Johnny, der alles und jeden mit in seine düstere Weltsicht reißen möchte. 15 Jahre später scheint Poppy, entwaffnend gespielt von Sally Hawkins („Vera Drake“, „Cassandras Traum“), die lichte Gegengestalt zum dunklen Johnny zu sein. Man könnte sogar meinen, dass sich Johnny und Poppy in „Happy-Go-Lucky“ begegnen: In einer fast surreal anmutenden Szene trifft Poppy auf einen Obdachlosen, der nur noch wild vor sich hin stammelt. Poppy nähert sich mutig, mit leicht ängstlicher Vorsicht. Sie hört ihm zu und zeigt ihm, dass sie ihn versteht. Sie macht etwas, was in dieser Gesellschaft sonst niemand mehr tun würde: Sie widmet sich den Aussätzigen. Poppy ist eine Heilige.
Hell trifft Dunkel
Poppy versucht, alle, denen sie begegnet, mit ihrer Leichtigkeit anzustecken, sie zu einem glücklichen Leben zu bekehren. Das gelingt ihr mitunter. Manchmal gelingt ihr das auch nicht, wie bei Scott. Ihm kann sie wenigstens einen kurzen Moment der Selbsterkenntnis schenken. Dem Obdachlosen „Johnny“ gibt sie mit ihrer Art einen kurzen Augenblick von Verständnis. Und dann findet sie in einem Menschen wie dem Sozialarbeiter Tim – noch so ein Heiliger, der zudem auch so aussieht – jemanden, der sie akzeptiert, wie sie ist: Ein notorisches Stehaufmännchen, dass sich aber nicht vor lauter Optimismus von den Problemen dieser Welt abwendet. Auch und gerade trotz der Rückschläge, die sie immer wieder erleidet: Man muss sich Poppy als einen glücklichen Menschen vorstellen
(Christian Meyer)
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