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Körper und Seele

Körper und Seele
Ungarn 2017, Laufzeit: 116 Min., FSK 12
Regie: Ildiko Enyedi
Darsteller: Alexandra Borbély, Morcsányi Géza, Zoltán Schneider
>> www.koerperundseele-derfilm.de

Tragikomisches Liebesdrama voller Kontraste

Seelenverwandte Gegensätze
Körper und Seele“ von Ildikó Enyedi

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Aseptisch schwebt Mária (Alexandra Borbély) mit ihrer hellen Haut und den sehr, sehr blonden Haaren zaghaft durch die Gänge ihres neuen Arbeitsplatzes – einer Schlachterei. Die handfeste Belegschaft beäugt die neue Fleischkontrolleurin skeptisch. Es ist offensichtlich, dass sie nicht hierher passt. Während die Mitarbeiter in den Pausen gerne Zoten reißen, nachdem sie die Rinder fachgerecht getötet und zerlegt haben, ist die Neue steif wie ein Brett und weicht allen Angeboten zur Geselligkeit aus. Zu allem Übel ist sie auch noch peinlich penibel. Plötzlich wird das Fleisch nur noch als zweitklassig deklariert, nur weil ein bis zwei Millimeter zu viel Fett dran ist. Mária arbeitet erbarmungslos streng nach Vorschrift. Ausgerechnet Endre (Géza Morcsányi), der Direktor der Schlachterei, verspürt eine Faszination für die kühle Mária. Er  selber ist auch eher zurückhaltend und in Distanz zum Rest der Belegschaft. Doch schnell wird auch ihm klar, dass Márias autistisch wirkende Eigenarten tatsächlich Ausdruck einer starken psychischen Störung sind. Die werden anscheinend schon ziemlich lange, aber recht erfolglos behandelt: Mária geht zu einem Psychologen. Ob sie nicht doch mal zu einem Kollegen für Erwachsene wechseln möchte, fragt er die junge Frau – im Hintergrund wird das Spielzeug in seiner Praxis für Kinderpsychologie sichtbar.

Rinder sind nicht die einzigen Tiere, die in Ildikó Enyedis Film auftauchen. Auch Hirsche sehen wir immer wieder. Doch das sind ganz friedliche Szenen –  im Wald, im Sommer oder Winter, auf einer Lichtung oder am See. Ein Hirsch und eine Hirschkuh streunen dort auf der Suche nach Futter durchs Gebüsch. Als nach einem Zwischenfall in der Schlachterei die Polizei auftaucht und eine psychologische Untersuchung der MitarbeiterInnen anordnet, sollen diese unter anderem von ihren Träumen erzählen. Hier stellen Mária und Endre fest: Sie träumen Nacht für Nacht, wie sie gemeinsam als Hirsch und Hirschkuh durch die Wälder streunen. „Du träumst mich, ich dich“. Wie in dem Song „Stella Maris“ der Einstürzenden Neubauten träumen sich Mária und Endre nachts  zusammen. „Na dann bis heute Abend“, wirft ihr Endre bald zu, und meint kein klassisches Date, sondern das gemeinsame Träumen. Langsam versuchen sie, auch tagsüber eine Bindung aufzubauen, doch es mag ihnen nicht so recht gelingen. Endre hatte sein Liebesleben eigentlich schon für beendet erklärt, Mária hat ihres noch nicht begonnen. Sie tut sich schwer mit Gefühlen – den eigenen und denen der anderen.

Wie Mária nun in die Schule des Fühlens eintritt, das erzählt die ungarische Regisseurin mit einem ebenso tragischem wie komischen Tonfall. Überhaupt ist Enyedi meisterhaft darin, trotz starker Kontraste eine Balance herzustellen. Der trockene Humor, der dabei zu Tage tritt, trägt die zarte Liebesgeschichte und verhindert zugleich, dass sie in Sentimentalität und Kitsch abgleitet. Dabei hilft auch die stets um Distanz bemühte Kamera. Sie filmt das Geschehen lieber von Nachbarräumen aus durch Türrahmen oder verharrt hinter Vorhängen und Fensterscheiben. Mitunter sieht man nur die – leicht verzerrte – Spiegelung der Protagonisten. Auch die Erzählung funktioniert eher ausschnitthaft. Szenen beginnen und enden überraschend, ähnlich wie bei Márias und Endres von Unsicherheit gezeichneter Kommunikation. Der Film beobachtet ohne Hast, mit einem ganz eigentümlichen Rhythmus. Langsam, aber sehr genau erkundet er Körper und Seele seiner Figuren. Viele Kinofilme hat Ildikó Enyedi seit ihrem vielbeachteten Debüt „Mein 20.Jahrhundert“ von 1989 in ihrer Karriere nicht gemacht, zuletzt hat sie nur noch für das Fernsehen gearbeitet. Jetzt kehrt sie mit diesem eigenwilligen und tief berührenden Comeback, mit dem sie auf der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bär gewinnen konnte, erfolgreich zurück ins Kino.

Berlinale 2017: Goldener Bär

(Christian Meyer)

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