Moonrise Kingdom
USA 2012, Laufzeit: 95 Min., FSK 12
Regie: Wes Anderson
Darsteller: Jared Gilman, Kara Hayward, Bruce Willis, Edward Norton, Bill Murray, Tilda Swinton, Frances McDormand, Harvey Keitel, Jason Schwartzman, Bob Balaban, Tommy Nelson
>> www.moonrisekingdom.de
Tragikomisches Ausreißerdrama
Besser als die Großen
„Moonrise Kingdom“ von Wes Anderson
1965, eine kleine Insel vor New England: Der zwölfjährige Sam lebt bei Pflegeeltern, er ist ein Außenseiter. Er hat in der Schule keine Freunde, bei den Pfadfindern mag ihn auch niemand. Eines Tages trifft er während einer Theateraufführung auf die gleichaltrige Suzy. Sie spielt einen Raben. Sam ist sofort von ihr fasziniert. Sie ist sehr hübsch, aber auch sie hat keine Freunde. Und sie neigt zu Ausrastern. Auch sie mag Sam. Ein Jahr lang schreiben sich die beiden heimlich Briefe. Dann nimmt Sam Reißaus und bittet Suzy, ihn heimlich zu treffen. Gemeinsam flüchten der coole Freak und die hübsche Einzelgängerin. Er hat einen Rucksack dabei und ein Zelt und alles, was ein Pfandfinder so braucht. Sie hat einen Koffer mit Büchern, einen batteriebetriebenen Plattenspieler, ihre Katze samt Katzenfutter und ihre Schere für Linkshänder eingepackt. Gemeinsam wollen sie ein neues Leben beginnen. Denn die Kinder sind ineinander verliebt und haben von ihrem bisherigen Leben nicht mehr viel zu erwarten.
Zu große Schuhe
Wes Anderson ist bekannt für detailverliebte Ausstattungsfilme. Mit seinem vorletzten Film „Darjeeling Limited“ hatte er seinen Ausstattungswahn auf die Spitze getrieben – „Moonrise Kingdom“ steht dem in nichts nach. Nicht nur wurden hier mit Freude die 60er Jahre nachgestellt, auch ist die Farbgestaltung wieder von größter Konsequenz. Jedes Bild ist eine Augenweide. Auch die Besetzung ist wieder beeindruckend. Ähnlich wie Woody Allen hat Wes Anderson inzwischen einen Status erlangt, der die Stars bei ihm Schlange stehen lassen, auch wenn die Gagen bei dem Budget seiner Filme nicht so hoch sein können. Neben den notorischen Anderson-Darstellern Bill Murray und Jason Schwartzman sind in seinem neuem Film Bruce Willis, Tilda Swinton, Harvey Keitel, Edward Norten und Frances McDormand mit von der Partie. Doch die eigentlichen Stars des Films sind Jared Gilman als Sam und Kara Hayward als Suzy. Beide waren zum Zeitpunkt des Drehs zwölf Jahre alt – wie die Figuren, die sie verkörpern. „Moonrise Kingdom“ ist ihr Filmdebüt. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis ihrer Arbeit. Denn nicht nur die karikaturhaften, komischen Szenen gelingen den beiden gut, sondern auch in den emotional tiefgründigeren Momenten können sie überzeugen. Und das, obwohl sie für Kinder eher ungewöhnlich erwachsen agieren. Neben der fantastischen Ausstattung ist dies die besondere Eigenart dieses anrührenden, wehmütigen und zugleich absurd komischen Films.
Einen Versuch ist es wert
Sam und Suzy können in ihren zerrütteten und zerstörten Familien nicht glücklich werden. Sams Pflegeeltern wollen ihn zurückgeben, Suzys Eltern kriegen ihre Ehe nicht in den Griff, geschweige denn die Erziehung der Kinder. Also müssen die beiden sich selbst Familie sein. Sie wollen ihre alten Familien ersetzen und die besseren Erwachsenen sein. So nehmen sie die gerade aufkommenden gesellschaftlichen Umwälzungen vorweg, von denen auf ihrer Insel noch nichts zu spüren ist. Vielleicht machen sie es wirklich einmal besser als die desillusionierten und frustrierten Erwachsenen ihrer Umgebung. Vielleicht auch nicht. Oft genug bleibt am Ende nicht viel übrig vom guten Vorsatz. Aber einen Versuch ist es wert. Und so stellen sie die Erwachsenenwelt in ihren Gesten, ihrem Handeln und ihrem Sprechen nach – füllen die Form aber mit ihren individuellen Vorstellungen und Gefühlen. Für den Augenblick ist das allemal besser als das Leben des einsamen Polizisten (Bruce Willis), der sie sucht, des um Anerkennung buhlenden Leiters der Pfadfinder (Edward Norten), der gefühlskalten Dame vom Jugendamt (Tilda Swinton). Diese Kinder, die wie Erwachsene agieren, wirken nicht selten auf eine sehr anrührende Art komisch. Mitunter stolpern sie durch ihre Rollen wie Kinder in zu großen Schuhen. Dann erinnern sie daran, dass das Erwachsenwerden sehr schwierig sein kann. Man möchte die eine Rolle endlich verabschieden, ohne die andere schon ausfüllen zu können.
Es gibt nicht viele Filme, die so einfühlsam von Kindern erzählen. Spike Jonze ist das mit seiner Verfilmung von Maurice Sendaks „Wo die wilden Kerle wohnen“ gelungen, im letzten Monat schwärmte choices an gleicher Stelle und aus ähnlichen Gründen für den ganz anderen Film „Tomboy“. „Moonrise Kingdom“ eröffnete am 16. Mai erfolgreich die 65. Filmfestspiele in Cannes. Bei der Kölner Vorpremiere, die am selben Tag stattfand, waren trotz des abendlichen Termins auch einige Jugendliche und Kinder anwesend. So wie „Tomboy“, der zurzeit auch erfolgreich in Nachmittagsvorstellungen für Kinder und Jugendliche läuft, funktioniert „Moonrise Kingdom“ anscheinend für alle Altersstufen. Sah Wes Andersons letzter Film „Der fantastische Mr. Fox“ mit seiner Puppenanimation nur aus wie ein Kinderfilm, ohne mit seinen moral-philosophischen Exkursen tatsächlich zu Kindern zu sprechen, ist das bei seinem jüngsten Werk ganz anders. Ob „Moonrise Kingdom“ nun ein für Kinder geeigneter Erwachsenenfilm oder ein für Erwachsene geeigneter Kinderfilm ist – es ist ein berührender Film mit viel Humor und großem Schauwert.
(Christian Meyer)
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