Nader und Simin – Eine Trennung
Iran 2011, Laufzeit: 123 Min., FSK 12
Regie: Asghar Farhadi
Darsteller: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Sareh Bayat, Sarina Farhadi, Babak Karimi, Ali-Asghar Shahbazi, Shirin Yazdanbakhsh
>> www.nader-und-simin.de
Kaleidoskop der iranischen Gesellschaft
Komplizierte Wahrheitsfindung
„Nader und Simin – Eine Trennung“ von Asghar Farhadi
Der Film beginnt mit einer Szene vor dem Scheidungsrichter. Simin will mit der Familie den Iran verlassen, ihr Mann Nader will sich jedoch in Teheran weiterhin um seinen an Alzheimer erkrankten Vater kümmern – eine Einigung finden sie nicht. Die Scheidung kommt zwar erstmal nicht zustande, doch Simin zieht zu ihren Eltern, Nader bleibt alleine mit Tochter Termeh (Regisseurs-Tochter Sarina Farhadi) zurück. Als der nach dem Umzug von Simin eine Pflegekraft für seinen kranken Vater einstellen muss, kommt es kurz darauf zu einem Unglück, bei dem die schwangere Pflegehilfe ihr Kind verliert. Der Fall kommt vor Gericht, die Positionen verhärten sich und jeder hat gute Gründe, nicht die ganze Wahrheit zu erzählen. Alle Beteiligten sind vor moralische Fragen gestellt, die sie fordern, ihren Wertekanon zu hinterfragen.
Asghar Farhadi ist einer der wenigen iranischen Regisseure, die im Westen Beachtung finden. Die Filmproduktion des Landes ist sowieso nicht groß, aber unter diesen wenigen Filmen sind es vor allem Mainstreamproduktionen, die den Durst der jungen Bevölkerungsschicht nach Unterhaltung stillen sollen. Westliche Filme aus Hollywood oder Europa werden in den iranischen Kinos nicht gezeigt. Iranisches Arthauskino wird ebenfalls nicht gezeigt – obwohl es existiert. Neben dem überschaubaren Mainstream gibt es eine noch überschaubarere Anzahl an Regisseuren, denen die Gratwanderung gelingt, Filme unter dem restriktiven Regime zu drehen. Dazu zählen Abbas Kiarostami, Bahman Ghobadi oder der Makhmalbaf-Clan mit Vater Mohsen, seiner Frau und den drei Kindern, darunter die im Westen höchst erfolgreiche Tochter Samari. Alleine das Kino iranischer Exilanten wie der in Frankreich lebenden Marjane Satrapi oder dem in Deutschland arbeitenden Ali Samadi Ahadi, der zuletzt mit „The Green Wave“ die Demokratisierungsbewegung und ihre gewaltsame Niederschlagung dokumentierte, können im Film sagen, was sie wollen.
Als im Iran lebender Iraner kann man das nicht, denn Drehgenehmigungen werden häufig verweigert. Und wenn man doch drehen darf, dann werden die Filme zwar auf den internationalen Filmfestivals gezeigt, wo sie regelmäßig Preise erhalten, aber nicht in den heimischen Kinos. Populärstes Opfer der rigiden Politik im Iran ist Jafar Panahi. 2010 wurde er verhaftet und zu sechs Jahren Gefängnis und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt. Auf der diesjährigen Berlinale musste sein Jurystuhl leer bleiben. Trotzdem war in diesem Jahr in Cannes sein neuester Film „This is not a Film“ zu sehen. Vor diesem Hintergrund ist jeder künstlerische Film aus dem Iran etwas Besonderes, und jeder Film, der im Westen gezeigt wird, ein kleines Wunder.
Asghar Farhadi weiß, wie man ein solches Wunder vollbringt. Er beherrscht die Kunst des Subtextes. Seine Filme sind frei von expliziter Kritik am Regime und der Gesellschaft, und doch erzählen sie so viel darüber. Sein letzter Film „Alles über Elli“, der auf der Berlinale 2006 einen Silbernen Bären gewann, stellte eine Gruppe dezent progressiver junger Menschen in einem Ferienhaus am Meer vor. Nach einem Unglück bricht die unterschwellige (gesellschaftliche) Anspannung heraus. Der Schauplatz in „Alles über Elli“ war ebenso isoliert wie die porträtierte Mittelschicht.
Ganz anders Farhadis neuer Film, der mitten im großstädtischen Leben steht: Man sieht lebendige Straßenszenen, hat es mit den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten zu tun und streift verschiedene soziale Orte – öffentliche wie private. Die Großstadt mit ihrem Lärm und die Menschen mit ihren Worten und ihrem Temperament prägen den Film. In dieser Vielfältigkeit ist dieses Juwel, das alleine schon mit seinen großartigen Schauspielern und der guten Kamerarbeit und Montage begeistern kann, in jedem Augenblick ein sehr genauer, nie tendenziöser Blick auf die iranische Gesellschaft. Die oft agile, fast nervöse Kamera beobachtet mal aus der Distanz das Geschehen, mal ist sie ganz nah an den Figuren. Genau so wie sich auch die Figuren ständig in ihren Positionen verändern, Vergewisserung suchen, sucht die Kamera immer neue Perspektiven. Auch wenn sich die Figuren immer mehr in ihren Widersprüchen verheddern, psychologisch bleiben sie trotz der inneren Brüche immer ganz und gar nachvollziehbar. Bei der filmischen Wahrheitssuche ist der Zuschauer mal geneigt, dem Einen zu glauben, mal dem Anderen. Fast meint man, Farhadi mache aus dem relativ undramatischen Stoff eine Art „Whodunit“-Krimi, nur dass man das Genre an der alltagsorientierten Inszenierung nicht ablesen kann. Keine Gefahr, keine nächtlichen Szenen, eher die Stimmung eines Gerichtsdramas macht sich breit. Und doch geht es in dem Film in jedem Augenblick um die gesamtgesellschaftliche Situation des Iran. Dass mit „Nader und Simin“ ein Film eines Landsmanns und Freundes des im Iran festgehaltenen Jafar Panahi den Hauptpreis der Berlinale gewann, ist keine politische Entscheidung. Der Film hat den Preis verdient. Aber es ist eine Entscheidung mit politischer Signalwirkung.
(Christian Meyer)
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